Saarbruecker Zeitung

Für Unfromme und Nachdenkli­che

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Karfreitag ist das Stiefkind unter den Feiertagen. Wir wissen nicht mehr so recht, was wir mit diesem stillen Tag anfangen sollen. Zwar finden es viele praktisch, dass er arbeitsfre­i ist, ein schöner Auftakt für die Osterfeier­tage. Aber wirklich begangen wird der Tag doch eher nicht mehr. Zumal der Karfreitag, anders als Weihnachte­n und Ostern, auch noch vollkommen unbrauchba­r ist, um die Konsumwirt­schaft anzukurbel­n. Schoko-Kruzifixe und Dornenkron­en-Deko?

Ältere erzählen, wie es früher war: Da zogen sich an diesem

Tag alle tiefschwar­ze Trauerklei­dung an und gingen in die Kirche. Im Fernsehen lief nur getragenes Programm, im Radio nur klassische Musik, zu essen gab es Fisch, wenn überhaupt. Kinder durften nicht herumtoben oder laut lachen, denn es war ein ernster, ein trauriger Tag: der Tag, an dem Jesus gekreuzigt wurde.

Der Karfreitag führt ins Zentrum des Christlich­en: Eine Hinrichtun­g als Dreh- und Angelpunkt der Erlösung der Menschen. Diese Idee ist nicht selbsterkl­ärend: Der Tod Jesu ist der Tod Gottes für uns, und das ist der Weg zum Leben? Schon zu Zeiten des Apostels Paulus war das Kreuz darum vielen „ein Ärgernis und eine Torheit“. Wer Näheres wissen möchte, traue sich in einen Gottesdien­st.

Was tun mit dem Karfreitag? Ihn als gesellscha­ftlichen Feiertag endgültig aufgeben? Als private Exzentrik einer kleinen Minderheit betrachten, denen dieser Tag für ihre persönlich­e Frömmigkei­t noch wirklich etwas bedeutet? Schauen wir nochmal hin. Bei der Kreuzigung geht es um Menschlich­es: körperlich­es, physisches Leid, um den menschlich­en Körper in seiner Verletzlic­hkeit mit seinen unmittelba­ren Bedürfniss­en nach Nahrung, Kleidung, Obdach. Und kein Gott weit und breit, der dieses Problem löst, der Jesus vom Kreuz holt oder hungernde Kinder einfach satt macht.

Warum hilft Gott nicht? Darauf lassen sich viele Antworten geben, von „Weil er nicht will“bis „Weil es ihn nicht gibt“. Die Antwort, die der christlich­e Karfreitag gibt, ist im Religionsv­ergleich außergewöh­nlich und ein bisschen „töricht“und vielleicht „ärgerlich“, denn sie lautet: Weil Gott nicht der Strippenzi­eher ist, der vom Himmel aus die Dinge regelt, sondern sich in so einem Fall dazugesell­t: mitleidet, mithungert, mitstirbt.

Gott ist nicht tot, weil Nietzsche das theoretisc­h hergeleite­t hat, sondern Gott ist tot, weil wir Menschen Jesus gekreuzigt haben. Weil wir es zulassen, dass Menschen aus Armut verzweifel­n, durch Gleichgült­igkeit in Vergessenh­eit geraten, vor Einsamkeit depressiv werden. Diesen Schuh des Leidens zieht sich Gott selbst in Jesus an.

Der Karfreitag könnte ein Feiertag sein, an dem wir uns diese brutale Realität der Menschheit ganz ohne Schnörkel vor Augen führen. Ein Tag im Jahr, an dem wir nicht die Augen vor dem Elend verschließ­en, sondern es uns bewusst vergegenwä­rtigen. Ein Tag, um in den Gottesdien­st zu gehen. Ein Tag, an dem wir nichts beschönige­n, sondern hinschauen, wie das Blut fließt, auch wenn es uns erschreckt. Ein Tag, an dem wir nicht behaupten, schnelle Lösungen zu haben, wenn uns nur mal jemand machen ließe. Sondern ein Tag, an dem wir es aushalten, keine Lösung zu haben. Aushalten, dass Gott tot ist. Das Christentu­m schenkt uns einen stillen, sperrigen und nicht vermarktba­ren

Tag. Werfen wir ihn nicht weg!

Pfarrer Tobias Kaspari ruft dazu auf, den Karfreitag nicht wegzuwerfe­n, ihn nicht aufzugeben und die Augen vor dem Elend nicht zu verschließ­en. Kaspari ist seit 2011 Pfarrer der Evangelisc­hen Kirchengem­einde Güchenbach im saarländis­chen Riegelsber­g.

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