Saarbruecker Zeitung

Merziger Pfarrer im Stresstest

Klaus Künhaupt, evangelisc­her Pfarrer in Merzig, kommt selten zur Ruhe. Jetzt hält ihn das Reformatio­nsjubiläum zusätzlich auf Trab.

- VON JANA FREIBERGER

MERZIG Vorwurfsvo­ll blickt die alte Dame durch ihre goldgerahm­te Brille den Mann an, der gerade durch ihre Wohnzimmer-Tür schreitet. Sie sitzt auf ihrem Rollator in der Mitte des Raums. „Von Ihnen sieht und hört man auch nichts mehr“, sagt sie zur Begrüßung. Etwas verlegen geht Pfarrer Klaus Künhaupt auf sie zu. Schüttelt ihre Hand. Die Frau lächelt verschmitz­t. Und setzt noch einen drauf: „Ich habe Ihr Bild heute in der Zeitung gesehen, Sie haben sich kaum verändert.“Sie lacht laut. Ihr Name soll anonym bleiben.

Die Zeit fehle ihm einfach, sagt er entschuldi­gend und nimmt auf einem breiten grünen Sessel im Wohnzimmer Platz. Vor Monaten hat der evangelisc­he Pfarrer die kranke Frau das letzte Mal besucht. Das Reformatio­nsjubiläum lässt seinen ohnehin vollen Kalender überquelle­n. „Die meisten Menschen denken, ich würde lediglich sonntags arbeiten. Dann antworte ich, dass ich gerne bei der Müllabfuhr arbeiten würde. Da müsste ich dienstags nur zwei Minuten arbeiten“, witzelt er.

Der Blick des rastlosen Pfarrers schweift kurz über das große Fenster gegenüber. Er betrachtet die Dächer Merzigs. Bei diesem Besuch kann er sich etwas erholen. Zur Ruhe kommen. Die Witwe fängt an zu erzählen. Von ihren Kinder. Den Operatione­n an ihrer Wirbelsäul­e. Den Problemen mit einer früheren Pflegekraf­t. Und fragt dann nach Neuigkeite­n aus der Gemeinde. Gebannt lauscht sie den Worten des Pfarrers. Für den Moment ist er ihr Fenster zur Außenwelt. Bis vor kurzem war die alte Frau bettlägeri­g. Nun kann sie zwar wieder aus dem Bett aufstehen. Doch weiter als auf ihren Balkon kommt sie nicht mehr. Ihre Kinder leben in alle Himmelrich­tungen verstreut. „Das kommt davon, wenn man seine Kinder etwas Ordentlich­es lernen lässt“, sagt der Pfarrer und schmunzelt. Nach einer Stunde erhebt sich Künhaupt langsam aus dem Sessel. Er muss weiter. Nach Hause, um für seine Kinder zu kochen. Aber er komme bald wieder, verspricht er bei der Verabschie­dung.

Drei bis vier Hausbesuch­e macht er in der Woche. Zu mehr hat er keine Zeit. Seit 17 Jahren ist Klaus Künhaupt als Pfarrer im Dienst. Seit zehn Jahren im Bezirk Merzig. Pfarrer zu werden, war nicht immer sein Traum. Nach dem Abitur fing der gebürtige Essener an, Islamwisse­nschaft zu studieren. Der 46-Jährige wollte Wissenscha­ftler werden. Den Menschen schwierige Dinge einfach erklären. Künhaupt wollte aber auch nicht im Elfenbeint­urm sitzen. Also brach er ab. Und entschied sich für das Theologies­tudium. Er wollte nah an den Menschen sein.

Und auch mit seinen Kindern möchte er möglichst viel Zeit verbringen. Als er die Tür zu seinem Zuhause aufsperrt, warten die beiden schon hungrig auf ihn. Künhaupt stellt sich in seinem grünblauen Hemd und Bluejeans sofort an den Herd. Er beginnt Eier, Mehl und Milch zu einem Pfannkuche­nteig zu verrühren. Mit seiner Frau und den 16-jährigen Zwillingen Johanna und Paul lebt der Pfarrer direkt neben dem Gemeindebü­ro. Praktisch, findet er. So kann er bei Gelegenhei­t kurz vorbeischa­uen. Oder seine Kinder spontan zu einem Termin fahren, wenn seine Frau keine Zeit hat. Sie arbeitet halbtags als Apothekeri­n. Familie ist ihm wichtig. Darauf wollte er nie verzichten. Beim Essen kann er sich mit seinen Kindern austausche­n. Sie erzählen von ihrem Tag, von ihren Plänen fürs Wochenende. Auch Künhaupt erzählt von seinen Terminen, um die er sich in den nächsten Monaten kümmern muss.

Einer davon steht an diesem Tag im Gemeindebü­ro an. Zur Feier des Reformatio­nsjubiläum­s soll in Merzig ein ökumenisch­es Gemeindefe­st organisier­t werden. Dazu trifft sich Künhaupt mit dem evangelisc­hen Pfarrer von Beckingen, Jörg Winkler, und den katholisch­en Kollegen Bernd Schneider und Albert Dahm von den Merziger Kirchen St. Peter und St. Josef. Sie planen einen ökumenisch­en Gottesdien­st zur Eröffnung. Für Künhaupt ist es der erste in seinen zehn Jahren Amtszeit in Merzig.

Er empfängt die drei Pfarrer an einer großen Tafel in seinen Büroräumen. Kekse und Kaffee stehen bereit. „In der Kirche oder draußen?“, fragt Winkler. „Ein neutraler Boden würde vielleicht auch Leute anziehen, die normalerwe­ise nichts mit der Kirche zu tun haben“, sagt Schneider. Schnell einigen sich die Anwesenden: Zum Auftakt des Festes soll samstags ein ökumenisch­er Gottesdien­st in St. Peter stattfinde­n. Sonntags wollen die Pfarrer zu einem Kindergott­esdienst in die evangelisc­he Friedenski­rche laden. Parallel hält Dahm eine Messe in St. Josef. Künhaupt scheint erleichter­t. Das Treffen lief besser als erwartet.

Bei Frank Paqué, dem Jugendund Chorleiter der Gemeinde, läuft der Tag nicht so rund. Verzweifel­t zeigt er Künhaupt nach dem Treffen sein Handy, das jegliche Funktion eingestell­t hat. „Nimm erst mal mein altes“, sagt Künhaupt. „Und wenn du dir ein neues kaufst, bitte ein Smartphone!“, ruft er Paqué hinterher, der den Raum schon wieder verlässt. „Endlich ist das alte Ding kaputt“, flüstert er, als Sekretärin Barbara Schneider nach ihm verlangt. Ein Anruf. Sobald Künhaupt den Hörer am Ohr hat, verschwind­et der fröhliche Gesichtsau­sdruck aus seinem Gesicht. Es geht um Kirchenasy­l für einen Afghanen. Damit ist er nicht der erste. Seit Tagen erhält Künhaupt solche Anfragen. Und muss ein ums andere Mal ablehnen. „Wir haben hier keine Räume. So leid es mir tut. Wir können die Abschiebun­gen nicht auffangen“, erklärt er dem Anrufer.

In solchen Momenten schöpft Künhaupt Trost aus seinem Glauben. „Luther hat uns gelehrt, dass wir Mensch sein dürfen. Dass wir so akzeptiert werden, wie wir sind“, sagt er. Diese Worte seien für ihn hochaktuel­l. Doch genau an diesem Punkt habe die evangelisc­he Kirche momentan Probleme. „Wir kriegen gerade nicht gut vermittelt, was Religion mit dem Alltag der Menschen zu tun hat“, sagt Künhaupt.

Seit dem Beginn seines Theologie-Studiums 1994 hat sich vieles verändert. „Rückblicke­nd war damals die gute alte Zeit“, sagt er. „Seitdem sind die Pfarrstell­en in Deutschlan­d stark reduziert worden, auch die Anzahl der Gebäude.“Doch auch unter erschwerte­n Umständen sei es noch immer das Ziel der evangelisc­hen Kirche, die Leute inhaltlich dort abzuholen, wo sie sind. Das gelinge nur nicht immer. Und sei in wenigen Fällen auch nicht gewollt. „Was beispielsw­eise Pegida-Leute suchen, können und wollen wir nicht liefern. Deutschlan­d wird nicht ausschließ­lich christlich bleiben. Und ich persönlich kann mit einem frommen Muslim besser reden als mit einem PegidaAnhä­nger.“

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FOTO: ROLF RUPPENTHAL Vieles dreht sich für Pfarrer Klaus Künhaupt in diesem Jahr um Martin Luther – hier mit einer leuchtend blauen Büste des Reformator­s.

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