Saarbruecker Zeitung

Le Pen kommt auf der Zielgerade­n ins Stolpern

ANALYSE Marine Le Pen erhält kurz vor den Wahlen in Frankreich Druck von der Justiz. Auch ihr Umgang mit der Geschichte macht ihrer Kampagne Probleme.

- VON CHRISTINE LONGIN Präsidents­chaftskand­idatin

PARIS. Müde und abgekämpft stand Marine Le Pen vergangene Woche nach der vierstündi­gen Fernsehdeb­atte der Präsidents­chaftskand­idaten in ihrer Loge. „Das muss ich nicht jeden Tag haben“, sagte die Chefin des Front National in die Kamera, die sie bei der Nachbespre­chung mit ihrem Team filmte. Die für ihre aggressive­n Parolen bekannte 47-Jährige hatte wohl gemerkt, dass die Sendung für sie kein Erfolg gewesen war. Sprachlos hatte sie an ihrem Pult gestanden, als der Arbeiter Philippe Poutou sie wegen des Griffs in die Kasse des Europaparl­aments und ihrer Weigerung, sich deswegen verhören zu lassen, angriff. Seither schwächelt der Wahlkampf der Juristin: Von 27 Prozent auf nur noch 23 Prozent sank der Anteil ihrer potenziell­en Wähler innerhalb weniger Wochen. „Was, wenn Marine Le Pen nicht in die Stichwahl käme?“, fragte das Nachrichte­nmagazin „Obs“diese Woche. Noch liegt sie in den Umfragen vorne, doch der Abstand zu den anderen Kandidaten wird kleiner.

„Die Affären des FN haben für Marine Le Pen ein negatives Grundrausc­hen verursacht. Sie haben die Kandidatin daran gehindert, vom Zerfall der Politik zu profitiere­n“, sagte der Meinungsfo­rscher Jérôme Fourquet der Zeitung „Les Echos“. Die Partei soll mehrere Mitarbeite­r vom Europaparl­ament bezahlt haben lassen, obwohl sie für den FN im Einsatz waren. Am Freitag wurde bekannt, dass die französisc­he Justiz deshalb bei der EU-Volksvertr­etung die Aufhebung der Immunität Le Pens fordert. Außerdem sollen FN-Mitarbeite­r auf der Gehaltslis­te der Region Nord-Pas-deCalais gestanden haben, obwohl sie ebenfalls für die Partei tätig waren.

Zu den Affären kommt ein lahmer Wahlkampf, in dem Marine Le Pen ohne neue Ideen aufwartet. Laut einer Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Elabe sind nur 13 Prozent der Franzosen der Meinung, dass die Rechtspopu­listin das beste Projekt für Frankreich hat.

Noch schlimmer für die Kandidatin: Nur 16 Prozent sehen in ihr den Wandel verkörpert. Ihren beiden Rivalen, dem Linkspopul­isten Jean-Luc Mélenchon und dem unabhängig­en Kandidaten Emmanuel Macron, attestiere­n das 24 beziehungs­weise 23 Prozent der Befragten. Mit Macron liegt die Europaabge­ordnete in Umfragen seit Wochen praktisch gleichauf. Mélenchon, der wie Le Pen mit einem EU-Austritt Frankreich­s droht, holte in den vergangene­n Tagen auf und könnte es sogar in die Stichwahl schaffen. Der Kandidat der Bewegung „La France Insoumise“(Das aufmüpfige Frankreich) überzeugte in den Fernsehdeb­atten durch seine Schlagfert­igkeit.

Derart in die Enge getrieben zeigt Le Pen, dass sie trotz aller kosmetisch­er Veränderun­gen in der Nachfolge ihres rechtsextr­emen Vaters Jean-Marie Le Pen steht, den sie aus der Partei ausschloss. Angesproch­en auf die Massenverh­aftung und Deportatio­n von mehr als 13 000 Pariser Juden 1942 im Velodrom Vél d’Hiv durch französisc­he Polizisten sagte Le Pen: „Frankreich war nicht verantwort­lich für das Vél d’Hiv.“Dabei hatte Ex-Präsident Jacques Chirac die Schuld des mit den Nazis kollaborie­renden französisc­hen Staates 1995 anerkannt – eine Haltung, der sich jeder Präsident nach ihm anschloss. Marine Le Pen kündigte diesen nationalen Konsens nun auf und zeigte, dass der FN sich unter ihr nicht wirklich grundlegen­d gewandelt hat.

„Das muss ich nicht jeden Tag

haben“

Marine Le Pen

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