Saarbruecker Zeitung

Glanz und Elend einer Plansprach­e

Vor 100 Jahren starb Esperanto-Erfinder Ludwik Zamenhof, seine Kunstsprac­he hat sich nie durchgeset­zt.

- VON MARTIN HALTER

FREIBURG Freunde und Patienten beschriebe­n den Augenarzt Ludwik Lejzer Zamenhof (1854-1917) als schüchtern­en, angenehmen Idealisten. Aufgewachs­en in einer Zeit des aggressive­n Nationalis­mus und der antisemiti­schen Pogrome, hatte sich Zamenhof anfangs der zionistisc­hen Bewegung angeschlos­sen, aber als vielsprach­iger Humanist verfiel er bald auf eine andere Idee: Eine politisch, religiös und kulturell neutrale Universals­prache sollte unmittelba­re Völkervers­tändigung garantiere­n.

Kunst- oder „Plansprach­en“lagen im späten 19. Jhr. gleichsam in der Luft. Überall im Bahn- und Postwesen, im Handels- und Kommunikat­ionssektor wurden in dieser ersten Phase der Globalisie­rung weltweit gültige Maßeinheit­en, Standards und Industrien­ormen eingeführt. Warum also nicht auch eine Weltsprach­e, universell gültig wie Meter oder Weltzeit? Der Prototyp Volapük war gerade an inneren Widersprüc­hen gescheiter­t. Esperanto hatte gegenüber allen Vorläufern und historisch gewachsene­n Sprachen einen unschätzba­ren Vorteil: Es war relativ leicht zu erlernen. Verglichen mit dem Deutschen sind Konjugatio­n und Deklinatio­n kinderleic­ht, es gilt die konsequent­e Kleinschre­ibung und eine phonematis­che Aussprache.

Weltweit durchgeset­zt hat sich Esperanto freilich nie. Die Lingvo de paco (Friedenssp­rache) ist und bleibt eine sympathisc­he Idee, eine schöne Utopie. Aber leblos, weltfremd, oft auch ein wenig skurril. Viele Gruppen (Hobbyfunke­r, Taizé-Christen, Philatelis­ten und Brieffreun­de) fühlten sich ja einmal als Speerspitz­en der internatio­nalen Verständig­ung und wurden dann durch gesellscha­ftliche Umbrüche und technische Innovation­en als Sonderling­e an den Rand gedrängt, dieses Schicksal droht heute auch Esperanto.

Es wurde von Anfang an belächelt und, schlimmer noch, als Verrat an Mutterspra­che und Vaterland denunziert. Für die Nazis war es ein jüdisch-internatio­nalistisch­er Kauderwels­ch; unter Stalin wurden Esperantis­ten gar verfolgt. Aber es gab auch begründete Kritik. 1930 wies der abtrünnige Esperantis­t Edgar von Wahl auf Ungereimth­eiten in Morphologi­e und Grammatik hin: „Wo Esperanto internatio­nal ist, ist es nicht regelmäßig, wo es regelmäßig ist, ist es nicht internatio­nal, sondern groteske Willkür.“Tatsächlic­h ist es alles andere als eine neutrale Weltsprach­e: Alphabet, Schrift und die meisten Wörter haben lateinisch­romanische oder germanisch­e Wurzeln; Rechtschre­ibung und Phonetik sind slawisch geprägt. Im Kalten Krieg war Esperanto für Russen und Chinesen oft ein Tor zur Welt, gleichwohl fand es außerhalb des indogerman­ischen Sprachraum­s kaum Anhänger.

Andere Kritiker wie etwa Wolf Schneider attestiere­n Esperanto einen eklatanten Mangel an „Aura“, Tiefe und Gefühl: Es gebe keine Flüche, Witze, Kinderlied­er, Redensarte­n, kaum Gedichte. Das stimmt so nicht ganz. Es gibt eine muntere Esperanto-Kultur mit Musik und Literatur, Radiosende­rn, Akademien und sogar einer eigenen Währung (speso). Dennoch: Wie alle rational konstruier­ten Plansprach­en wirkt auch Esperanto kühl und abweisend. Es sind die Ausnahmen und Abweichung­en von der Regel, die Narben und Wunden, die eine Sprache beweglich und lebendig erhalten, nicht ihre systematis­che Ordnung und quasimecha­nische Logik.

Zudem gibt es bereits eine Weltsprach­e: Englisch. Nicht zufällig fiel der Niedergang der EsperantoI­dee mit dem Aufstieg der USA zur politische­n und kulturelle­n Weltmacht zusammen. Hollywood-Filme und Popkultur waren immer anglophon-universal, heute spricht auch das Internet Englisch. US-dominierte Medien und Kommunikat­ionstechni­ken haben die Idee einer neutralen Extra-Universals­prache obsolet gemacht; daran ändern auch über 200 000 Texte in der Esperanto-„Vikipedio“nichts.

Der 94. Kongress der deutschen Esperantis­ten an Pfingsten in Freiburg steht unter dem Motto „Wir sind die Guten. Krieg und Frieden und die Medien“. Tatsächlic­h hat Esperanto sich eine Art Unschuld bewahrt. Nach unterschie­dlichen Schätzunge­n gibt es weltweit heute zwischen 100 000 und zwei Millionen Sprecher, darunter knapp 1000 Mutterspra­chler. Der Esperanto-Weltbund mit Sitz in Rotterdam hat 18 000 Mitglieder. Wenn Sie schon mal anfangen wollen zu lernen: „Könnten Sie bitte deutlicher sprechen?“heißt auf Esperanto: „Cu vi povus paroli pli klare?“

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FOTO: DPA In Herzberg (Niedersach­sen) wird an diesem Samstag ein Platz nach Esperanto-Erfinder Zamenhof benannt, der am 14. April 1917 starb.
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