Wenn Klettern vom Hobby zum Beruf wird
Pamina Thelen ist eine der wenigen Frauen, die europaweit als Industriekletterin unterwegs ist.
SAARBRÜCKEN Typische Tätigkeiten, die Pamina Thelen von Berufs wegen erledigt, sind reinigen, anstreichen oder montieren. Dabei hängt sie jedoch meistens in den Seilen. Und das noch in schwindelerregender Höhe. Die 40-Jährige aus dem Ruhrgebiet ist eine der wenigen Industriekletterinnen in Deutschland. Damit ist Thelen prädestiniert für die Veranstaltungsreihe „Frauen in außergewöhnlichen Berufen“der Saarbrücker Frauengenderbibliothek. Dort ließ sie sich diese Woche über eine Stunde lang bereitwillig von wissbegierigen Saarbrückerinnen löchern, was ihr Beruf an Reiz und Gefahren mit sich bringt, und was sie im Alltag erlebt.
„Ich hänge keine Poster auf“, stellte Thelen gleich mal klar und meinte damit die großen Werbebanner, die manche der Berufskletterer an Fassaden anbringen. Das lohne sich nicht, denn das gehe viel zu schnell.
„Meine Angestellte und ich sind spezialisiert auf Industriebereiche, wir sind viel in Kraftwerken und Stahlwerken unterwegs“, erzählte Thelen. Nach einem kaufmännischen Studium hat sie 2012 ihr Hobby Sportklettern zum Beruf gemacht und dafür drei Kurse beim Branchenverband FISAT absolviert. In ganz Europa geht sie als selbstständige Subunternehmerin auf Montage, meist um sich in Behälter, Brennkessel oder auch Futter- oder Zuckersilos abzuseilen. Gefragt sind Industriekletterer überall dort, wo man „als normaler Fußgänger“nicht hinkommt oder wo man sonst ein teures Gerüst aufbauen müsste, um vielleicht nur eine Schraube anzuziehen, sagt Thelen.
Die Ausrüstung, die sie dafür benötigt, darf jede Besucherin in der Bibliothek mal anfassen und hochheben: Es ist ein spezieller Klettergurt mit Seilen und vielen Stahlkarabinerhaken plus separates Sicherungsseil – rund 800 Euro teuer und mindestens zehn Kilo schwer. Zu diesem Gewicht kommt dann auch noch das Werkzeug hinzu, mit dem die Industriekletterin arbeitet.
Manchmal müsse sie in einem Brennkessel, der überholt werden soll, tonnenschwere Aschebrocken, sogenannte Verbrennungsrückstände, von den Wänden abschlagen, sagte Thelen. „Anfangs habe ich gedacht, spätestens in einem Jahr habe ich einen Waschbrettbauch und sehe total gut aus“, erzählt sie. Doch der Beruf verschleiße eher, als man durch ihn stark werde. Und nach der Arbeit trainiere man eher „Sofaliegen“, als Gewichte zu stemmen.
Nicht nur kräftemäßig verlangt die Arbeit einiges ab. In TiermehlSilos oder Müllbunkern ist Thelen von Gestank umgeben, in anderen Behältern muss sie Atemschutzmasken tragen oder ist von giftigen Stoffen wie Dioxinschlacke umgeben. Männliche Kollegen reagierten auf eine Frau in der vom Superhelden umflorten Beruf meist mit Entsetzen, berichtet Thelen lächelnd.
Selbst als Teamleiterin könne sie aber nicht sagen: „Ich schmeiße dich jetzt von der Baustelle, weil du nicht auf Mutti hörst.“Da müsse man feinfühlig rangehen, sagt Thelen, „wie bei Patienten, sie bei ihren Ängsten abholen“.
Was aber hält sie nun eigentlich in diesem Beruf, von dem selbst viele Männer bald wieder abspringen? „Ich bin halt für mein Leben gern Kletterer und komme an Orte, die sonst niemand erlebt“, sagt Thelen. Und wenn man dann so aus 170 Metern Höhe auf die Welt blicken könne, sei das einfach sagenhaft.