Saarbruecker Zeitung

Wenn Klettern vom Hobby zum Beruf wird

Pamina Thelen ist eine der wenigen Frauen, die europaweit als Industriek­letterin unterwegs ist.

- VON SILVIA BUSS

SAARBRÜCKE­N Typische Tätigkeite­n, die Pamina Thelen von Berufs wegen erledigt, sind reinigen, anstreiche­n oder montieren. Dabei hängt sie jedoch meistens in den Seilen. Und das noch in schwindele­rregender Höhe. Die 40-Jährige aus dem Ruhrgebiet ist eine der wenigen Industriek­letterinne­n in Deutschlan­d. Damit ist Thelen prädestini­ert für die Veranstalt­ungsreihe „Frauen in außergewöh­nlichen Berufen“der Saarbrücke­r Frauengend­erbiblioth­ek. Dort ließ sie sich diese Woche über eine Stunde lang bereitwill­ig von wissbegier­igen Saarbrücke­rinnen löchern, was ihr Beruf an Reiz und Gefahren mit sich bringt, und was sie im Alltag erlebt.

„Ich hänge keine Poster auf“, stellte Thelen gleich mal klar und meinte damit die großen Werbebanne­r, die manche der Berufsklet­terer an Fassaden anbringen. Das lohne sich nicht, denn das gehe viel zu schnell.

„Meine Angestellt­e und ich sind spezialisi­ert auf Industrieb­ereiche, wir sind viel in Kraftwerke­n und Stahlwerke­n unterwegs“, erzählte Thelen. Nach einem kaufmännis­chen Studium hat sie 2012 ihr Hobby Sportklett­ern zum Beruf gemacht und dafür drei Kurse beim Branchenve­rband FISAT absolviert. In ganz Europa geht sie als selbststän­dige Subunterne­hmerin auf Montage, meist um sich in Behälter, Brennkesse­l oder auch Futter- oder Zuckersilo­s abzuseilen. Gefragt sind Industriek­letterer überall dort, wo man „als normaler Fußgänger“nicht hinkommt oder wo man sonst ein teures Gerüst aufbauen müsste, um vielleicht nur eine Schraube anzuziehen, sagt Thelen.

Die Ausrüstung, die sie dafür benötigt, darf jede Besucherin in der Bibliothek mal anfassen und hochheben: Es ist ein spezieller Klettergur­t mit Seilen und vielen Stahlkarab­inerhaken plus separates Sicherungs­seil – rund 800 Euro teuer und mindestens zehn Kilo schwer. Zu diesem Gewicht kommt dann auch noch das Werkzeug hinzu, mit dem die Industriek­letterin arbeitet.

Manchmal müsse sie in einem Brennkesse­l, der überholt werden soll, tonnenschw­ere Aschebrock­en, sogenannte Verbrennun­gsrückstän­de, von den Wänden abschlagen, sagte Thelen. „Anfangs habe ich gedacht, spätestens in einem Jahr habe ich einen Waschbrett­bauch und sehe total gut aus“, erzählt sie. Doch der Beruf verschleiß­e eher, als man durch ihn stark werde. Und nach der Arbeit trainiere man eher „Sofaliegen“, als Gewichte zu stemmen.

Nicht nur kräftemäßi­g verlangt die Arbeit einiges ab. In TiermehlSi­los oder Müllbunker­n ist Thelen von Gestank umgeben, in anderen Behältern muss sie Atemschutz­masken tragen oder ist von giftigen Stoffen wie Dioxinschl­acke umgeben. Männliche Kollegen reagierten auf eine Frau in der vom Superhelde­n umflorten Beruf meist mit Entsetzen, berichtet Thelen lächelnd.

Selbst als Teamleiter­in könne sie aber nicht sagen: „Ich schmeiße dich jetzt von der Baustelle, weil du nicht auf Mutti hörst.“Da müsse man feinfühlig rangehen, sagt Thelen, „wie bei Patienten, sie bei ihren Ängsten abholen“.

Was aber hält sie nun eigentlich in diesem Beruf, von dem selbst viele Männer bald wieder abspringen? „Ich bin halt für mein Leben gern Kletterer und komme an Orte, die sonst niemand erlebt“, sagt Thelen. Und wenn man dann so aus 170 Metern Höhe auf die Welt blicken könne, sei das einfach sagenhaft.

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Bis zu 170 Meter hoch muss Pamina Thelen hin und wieder in ihrem Job klettern. Höhenangst hat sie nicht – im Gegenteil, die Arbeit zwischen Himmel und Erde macht ihr Spaß.
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FOTOS: PAMINA THELEN

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