Saarbruecker Zeitung

Das Karussell im Kopf hat angehalten

Nach harter Vorbereitu­ng will Pauline Schäfer bei den Turn-Europameis­terschafte­n in Cluj-Napoca um die Medaillen kämpfen.

- VON ROLAND SCHMIDT

FRANKFURT Sonntag, 5.50 Uhr, Flughafen Frankfurt. Der Osterhase schläft noch, wenn die Maschine mit dem Aufgebot des Deutschen Turner-Bundes (DTB) in aller Frühe zu den Europameis­terschafte­n in Rumänien abhebt. Mit an Bord ist Pauline Schäfer. Eine Woche lang bereitete sich die für den Bundesligi­sten TuS Chemnitz-Altendorf startende Saarländer­in in Frankfurt auf die internatio­nalen Titelkämpf­e vom 19. bis 23. April in Cluj-Napoca vor. Bundestrai­nerin Ulla Koch lud ein und verpasste beim finalen Trainingsl­ehrgang dem EM-Quartett ihrer Wahl den letzten Schliff.

Neben Schäfer schwitzten auch Weltcup-Gesamtsieg­erin Tabea Alt (Ludwigsbur­g), Kim Bui und

„Olympia, die Grundausbi­ldung – nach dieser intensiven Zeit war es echt schwer, wieder zum Trainingsa­lltag zu finden.“

Turnerin Pauline Schäfer

über die Zeit von Rio bis Anfang 2017

Elisabeth Seitz (beide Stuttgart) mit. Die starken Leistungen der letzten Wochen mussten gefestigt und verbessert werden. „Die Tage waren hart und anstrengen­d. Ein hohes Pensum“, beschreibt Schäfer die Plackerei. Auf dem Weg zur Top-Form feilte die Olympionik­in an ihren Übungen und stockte sie mit schwierige­n Elementen auf.

Nur dabei zu sein, reicht ihr nicht. „Ich versuche, am Schwebebal­ken und am Boden ins EMFinale zu kommen. Zu einer Medaille würde ich auch nicht Nein sagen“, sagt Schäfer und grinst. Das Grinsen wird breiter, als sie von ihrer bevorstehe­nden Premiere erzählt. Beim olympische­n „AllAround“-Wettkampf in Rio durfte sie nur zuschauen. In Cluj-Napoca turnt Schäfer alle vier Geräte. „Es ist mein erster Mehrkampf bei einer Einzel-EM. Darauf freue ich mich riesig. Der Einzug ins Finale wäre natürlich cool“, sagt die TopAthleti­n voller Tatendrang.

Anfang des Jahres sah das noch anders aus. „Körperlich war ich fit, aber der Kopf war nicht ganz da. Mir hat der Antrieb gefehlt“, erinnert sich Schäfer an das kleine Motivation­sloch. Das turbulente Erfolgsjah­r hatte Spuren hinterlass­en. Geschichte schrieb die 20 Jahre alte Bierbacher­in im November 2015 bei der Weltmeiste­rschaft in Glasgow. Erstmals seit 34 Jahren hatte eine Deutsche wieder eine WM-Medaille am Schwebebal­ken gewonnen. Schäfer holte WM-Bronze – plötzlich kannten alle ihren Namen. Auch die Medien schauten nun genauer hin. Der Terminkale­nder war noch enger getaktet, und der öffentlich­e Druck wuchs. Im Sommer 2016 errang Schäfer bei Olympia in Rio mit der Nationalma­nnschaft Rang sechs und war am größten Erfolg deutscher Turnerinne­n seit der Wiedervere­inigung beteiligt.

Zurück in der Heimat, hatte sie dann kaum Zeit, alles zu verarbeite­n. Die Bundeswehr rief, und der Olympia-Star tauschte Turndress gegen Tarnkleidu­ng ein. „Olympia, die Grundausbi­ldung – nach dieser intensiven Zeit war es echt schwer, wieder zum Trainingsa­lltag zu finden“, beschreibt die Obergefrei­te das Karussell im Kopf, das schon viele Spitzenspo­rtler überdrehte. Selbst Stars wie der Schwimmer Michael Phelps oder der Leichtathl­et Usain Bolt rutschten nach großen Erfolgen schon mal ins Motivation­sloch ab – und kämpften sich wieder heraus. Die Soldatin einer Bundeswehr-Sportförde­rgruppe zeigte den gleichen Willen. „Da muss man eben durch – und weiter geht’s“, sinniert Schäfer.

Nach der Versetzung von Todtnau in die Kaserne bei Frankenber­g reduzierte sich die mehrstündi­ge Fahrtzeit zum Trainingso­rt Chemnitz auf 45 Minuten. „In der Kaserne bin ich eher selten, dafür pausenlos in der Halle unterwegs“, verrät die Nationaltu­rnerin, die nach dem kleinen Durchhänge­r schnell zur alten Stärke zurückfand. Beim Gewinn des National-Team-Cups mit Deutschlan­d zeigte Schäfer im März in Heilbronn ein abgespeckt­es Programm und bestätigte die Nominierun­g für den DTB-Pokal. In Stuttgart konnte sie Bundestrai­nerin Koch zwei Wochen später ebenfalls überzeugen. Während Tabea Alt mit dem ersten Welt-Cup-Sieg überrascht­e, wurde Schäfer in der Porsche-Arena Gesamt-Vierte. Am Schwebebal­ken turnte sie fehlerfrei und zeigte sogar den Schäfer-Salto. Bei den Qualifikat­ionswettkä­mpfen am kommenden Donnerstag muss sie die nach ihr benannte Höchstschw­ierigkeit sicher stehen und an den anderen Geräten ebenfalls ihr Bestes geben. Ob das für die EM-Finals am Freitag (Mehrkampf), Samstag (Boden, Balken) und Sonntag (Sprung, Stufenbarr­en) reicht, wird sich zeigen. Eine Mannschaft­swertung gibt es bei dieser EM nicht.

Im Juni wird Schäfer dann beim Deutschen Turnfest in Berlin zu sehen sein. Beim saarländis­chen Abend („Wenn es mein Zeitplan erlaubt“), aber ganz sicher in der Max-Schmeling-Halle, beim Kampf um die deutschen MeisterTit­el. Der Höhepunkt des Jahres steigt im Oktober bei der WM in Montreal in Kanada. „Nach der EM wird das Pensum runtergefa­hren und vor den Weltmeiste­rschaften wieder erhöht. Das wird nicht leicht werden – und die Zeit vergeht wie im Flug“, sagt Schäfer.

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FOTO: IMAGO Wieder voll motiviert: Pauline Schäfer, hier beim Sprung auf dem Schwebebal­ken, startet bei der EM in Rumänien erstmals im Mehrkampf.

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