Erdogans Freunde, Erdogans Feinde
In der neuen türkischen Republik, für die das Referendum den Weg geebnet hat, ist der Präsident zwar enorm mächtig, aber nicht ohne Konkurrenz. Wer sind die wichtigsten Mit- und Gegenspieler?
Mit dem Verfassungsreferendum in der Türkei hat am Bosporus eine neue politische Zeitrechnung begonnen. Präsident Recep Tayyip Erdogan ist mächtiger denn je. Der 63-Jährige hat mit seinem umstrittenen Sieg einen weiteren Höhepunkt seiner Karriere erreicht – 14 Jahre nach seinem Machtantritt als Ministerpräsident. Geht alles nach Erdogans Plan, wird er nach dem neuen System bis 2029 im Amt bleiben können – mindestens. Gestern hat seine Regierung erneut den Ausnahmezustand verlängert, mit dem Erdogan schon jetzt weitgehend allein regierten kann. Doch er kann sich in der neuen Ära nicht nur auf treue Gefolgsleute verlassen, er hat auch mächtige Gegner. Hier die wichtigsten Figuren im Ringen um die Macht:
PRO:
Berat Albayrak: Der 39-jährige Schwiegersohn des Präsidenten rückt seit seiner Berufung zum Energieminister vor knapp zwei Jahren immer stärker in den Vordergrund. Als Erdogan am Sonntagabend zur Siegesrede nach dem Verfassungsreferendum schritt, gehörte Albayrak zu der Gruppe, mit denen sich der Chef vorher beraten hatte. Der Ehemann von Erdogans Tochter Esra war im Wahlkampf auch am umstrittenen Besuch von Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya in den Niederlanden beteiligt. Dass sie von der niederländischen Polizei aufgehalten und zurückgeschickt wurde, steigerte die Wut nationalistischer Türken auf die Europäer und trug wohl zur Motivation für Erdogan bei.
Binali Yildirim: Der gelernte Schiffbauingenieur ist ein ergebener Erdogan-Gefolgsmann, der beim Referendum die Aufgabe hatte, sich selbst überflüssig zu machen: Laut den beschlossenen Verfassungsänderungen wird Yildirims Amt des Ministerpräsidenten abgeschafft. Bis zur Präsidentenwahl 2019 wird sich Yildirim um die Vorbereitung der Präsidialrepublik kümmern, während Erdogan das Ruder in der Regierung übernimmt. Auch als Chef der AKP ist der 61-jährige Yildirim lediglich der Statthalter des Präsidenten und dürfte schon bald von diesem als Parteivorsitzender abgelöst werden.
Süleyman Soylu: Auch der türkische Innenminister gehört zu Erdogans Lieblingen. Einige Beobachter halten den 47-Jährigen für einen möglichen Kronprinzen des Präsidenten. Bis es soweit ist, muss sich Soylu als Chef der Sicherheitsbehörden vor allem um die terroristische Bedrohung durch militante Kurden, Islamisten und Linksextremisten kümmern müssen und den Kurdenkonflikt im Auge behalten. Zudem ist er für das Vorgehen gegen mutmaßliche Anhänger des als Staatsfeind verteufelten Predigers Fethullah Gülen zuständig. Und auch für die Säuberungen im Staatsapparat, die seit dem Putschversuch vom Juli zur Entlassung von rund 130 000 Menschen und zur Inhaftierung Zehntausender Beschuldigter geführt hat.
CONTRA:
Meral Aksener: Die frühere Innenministerin – sie war von November 1996 bis Juni 1997 die erste Frau in diesem Amt – wird alles daran setzen, die Pläne von Erdogan zu durchkreuzen. Als knallharte Nationalistin ist die frühere Politikerin der Rechtspartei MHP für Erdogan eine besondere politische Gefahr. Aksener ist die Hoffnungsträgerin der vielen MHPAnhänger, die vom langjährigen Parteichef Devlet Bahceli enttäuscht sind. Vielen nicht-nationalistischen Türken ist Aksener wegen ihrer Rolle im schmutzigen Krieg des Staates gegen die Kurden in den 1990er Jahren kaum vermittelbar, als Integrationsfigur gegen Erdogan fällt sie also aus. Dennoch: Sollte die 60-Jährige es schaffen, sich als Chefin der Rechten zu etablieren, könnte sie zur Bedrohung für die AKP werden.
Kemal Kilicdaroglu: Auch bei der türkischen Linken rumort es. Kilicdaroglu ist als Vorsitzender der säkularistischen CHP, der größten Oppositionspartei im Parlament, nominell der Oppositionschef des Landes. Seine CHP beantragte gestern bei der Wahlkommission offiziell die Annullierung des Referendums. Doch der 68-jährige Anführer agiert seit Jahren glücklos und ohne Charisma. Erdogan verspottet ihn regelmäßig. Kilicdaroglu vermochte trotz der Unzufriedenheit vieler Türken mit der Erdogan-Regierung bisher nicht, seine Partei über 25 Prozent zu heben. So kam es, dass Selahattin Dermitas, der beliebte Chef der legalen Kurdenpartei HDP, bis vor kurzem drauf und dran war, Kilicdaroglu den Rang des Oppositionschefs abzulaufen. Doch derzeit kann der 44-Jährige nicht ins Geschehen eingreifen: Zusammen mit anderen Parteigrößen sitzt er seit November in Haft.
Metin Feyzioglu: Der Vorsitzende der türkischen Anwaltskammer wird von einigen Beobachtern als Idealbesetzung der Rolle des Oppositionsführers und damit als Hauptgegner Erdogans betrachtet. Auch nach dem Referendum vom Sonntag meldete sich Feyzioglus Anwaltskammer mit geharnischter Kritik an der Regierung und der Wahlkommission in Ankara zu Wort. Nicht zuletzt wegen der Schwäche der politischen Opposition sind die Anwaltskammern in manchen Regionen des Landes zu den eigentlichen Zentren des Widerstandes gegen die Regierung geworden. Der 47-jährige Feyzioglu wirbt für eine moderne und rechtsstaatliche Türkei. Ohne politisches Mandat wird er indes Schwierigkeiten haben, sich in Ankara als maßgeblicher Akteur dauerhaft zu etablieren.