Saarbruecker Zeitung

Der nächste Paukenschl­ag im Königreich

Die britische Premiermin­isterin Theresa May will vorgezogen­e Neuwahlen. Schon am 8. Juni sollen die Briten über ein neues Parlament abstimmen.

- VON KATRIN PRIBYL

LONDON Nur einen Monat ist es her, dass die britische Premiermin­isterin Theresa May zum letzten Mal Neuwahlen ausgeschlo­ssen hat. Sie tat das in schöner Regelmäßig­keit und die Medien fanden die Wahl-Frage zu stellen mittlerwei­le beinahe langweilig, lautete die Antwort immerhin neun Monate lang gleich. Nun die Kehrtwende: Am 8. Juni sollen die Briten über ein neues Parlament abstimmen, kündigte die Regierungs­chefin gestern völlig überrasche­nd an. Es war ein weiterer Paukenschl­ag, wie er seit dem Brexit-Votum häufig auf der Insel zu hören ist. „Das Land kommt zusammen, aber Westminste­r tut das nicht“, begründete May den Schritt und zielte damit auf die zahlreiche­n Brexit-Gegner im Unterund Oberhaus, die ihr das politische Leben schwer machen.

Noch immer ist die Mehrheit der Parlamenta­rier pro-europäisch eingestell­t und viele von ihnen stemmen sich insbesonde­re gegen Mays eingeschla­genen Weg eines harten Bruchs mit Brüssel. Die Konservati­ve will sowohl aus der Zollunion austreten als auch den freien Zugang zum gemeinsame­n europäisch­en Binnenmark­t opfern, um die Einwanderu­ng auf die Insel kontrollie­ren zu können. Die „Uneinigkei­t“im Parlament mache es schwierig für die Regierung, aus dem Brexit „einen Erfolg zu machen“. Es drohen Unsicherhe­it und Instabilit­ät, sagte May vor der berühmten Tür mit der Nummer Zehn in Downing Street.

Eigentlich hätte die nächste Parlaments­wahl erst 2020 angestande­n, also ein Jahr nach der endgültige­n Trennung von der EU im März 2019. Doch May will die Gunst der Stunde nutzen, die Umfragen prophezeie­n den Konservati­ven einen klaren Sieg. Schon am heutigen Mittwoch soll im Unterhaus über die Neuwahlen abgestimmt werden. Dafür benötigt die Regierungs­chefin eine ZweiDritte­l-Mehrheit, die sie aber erhalten dürfte. Der Chef der opposition­ellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, hat den Schritt von May bereits begrüßt, auch wenn seine Zustimmung angesichts des desolaten Zustands der Partei für viele Beobachter unerwartet kam. Viele sozialdemo­kratische Abgeordnet­e äußerten denn auch ihre Sorge, dass die Wahl aufgrund des in der Bevölkerun­g unpopuläre­n Corbyn „desaströs“für sie ausgehen könnte. Die Umfragewer­te geben ihnen Recht.

Wird die Parlaments­wahl in sechs Wochen eine Neuauflage des EU-Referendum­s, wie einige Opposition­spolitiker dies gestern andeuteten? Wohl eher nicht. „Großbritan­nien verlässt die Europäisch­e Union und es kann kein Zurück geben“, lautete die klare Botschaft von May. Doch insbesonde­re die Liberaldem­okraten, die in den vergangene­n Monaten die lautstärks­te pro-europäisch­e Stimme vertraten, wittern ihre Chance. Die Neuwahl ist „eure Möglichkei­t, die Richtung, in die euer Land steuert, zu ändern“, appelliert­e der Vorsitzend­e Tim Farron an die EU-Freunde auf der Insel. Für alle jene, die „einen katastroph­alen harten Brexit vermeiden und Großbritan­nien im Binnenmark­t halten“wollen, sei nun die Möglichkei­t gekommen. Bereits eine Stunde nach Mays Ankündigun­g einer Neuwahl hatten die Liberaldem­okraten 1000 Mitglieder mehr.

Die konservati­ve Premiermin­isterin will sich jedoch breite Rückendeck­ung aus der Bevölkerun­g für die anstehende­n Verhandlun­gen mit Brüssel holen und ihre Kritiker stellen. Unter ihnen ist auch Nicola Sturgeon, mit der May seit Wochen einen Machtkampf ausficht. Die Erste Ministerin Schottland­s verurteilt den Brexit und fordert eine erneute Volksabsti­mmung über die Unabhängig­keit des nördlichen Landesteil­s. In Schottland aber, so zeigen Umfragen, lehnt die Mehrheit der Menschen die Eigenständ­igkeit ab. May hofft offenbar darauf, dass etliche Schotten sich von der Schottisch­en Nationalpa­rtei ab-, und den Tories zuwenden. Damit gewönne die Premiermin­isterin im Streit mit Sturgeon die Oberhand. Die dagegen sagte gestern, die Wähler hätten nun eine weitere Möglichkei­t, die engstirnig­e und spaltende Politik der Konservati­ven zurückzuwe­isen.

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FOTO: LEAL-OLIVAS/AFP Noch hat sie das britische Parlament nicht auf Linie: Mit vorgezogen­en Wahlen erhofft sich Theresa May (hier beim Verlassen der Regierungs­residenz in London), die notwendige­n Mehrheiten im Parlament für die Abwicklung des Brexit sichern zu können.

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