Erneut Ärger über Deutschlands Stärke
Jetzt nimmt auch die Chefin des Internationalen Währungsfonds IWF den Handelsüberschuss ins Visier.
WASHINGTON (dpa) Deutschland gerät erneut wegen seiner Exportstärke unter Beschuss. IWF-Chefin Christine Lagarde hat das Land erneut aufgefordert, seine Exportüberschüsse für Investitionen in die Infrastruktur zu nutzen. Es sei legitim für ein Land wie Deutschland mit alternder Bevölkerung, nach einem Überschuss zu trachten, sagte die Chefin des Internationalen Währungsfonds gestern in einem Interview mit mehreren französischen Zeitungen. „Vier Prozent wären vielleicht gerechtfertigt, acht Prozent sind es nicht.“
Der große deutsche Exportüberschuss wird seit längerer Zeit international angeprangert, unter anderem von US-Präsident Donald Trump. Zuletzt hatte sich auch der französische Präsidentschaftsbewerber Emmanuel Macron kritisch geäußert und die deutsche Exportstärke als „nicht mehr tragbar“bezeichnet.
„Die gute Nachricht ist: Deutschland hat bereits begonnen zu investieren, auch durch die Finanzierung von Flüchtlingen“, sagte Lagarde. Sie hob hervor, dass Deutschland sich als eines von wenigen Ländern zu einer Entwicklungsförderung in Höhe von 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes bekenne. „Es ist aber ein langsamer Prozess und wir empfehlen noch immer mehr“, sagte Lagarde. Als Beispiele nannte sie den möglichen Ausbau von Breitband-Kabeln in Deutschland.
Deutsche Wirtschaftsverbände verteidigten die hohe Exportquote des Landes: „Der Exportüberschuss ist vor allem ein Beleg für die hohe Wettbewerbsfähigkeit deutscher Produkte und Dienstleistungen“, sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Achim Dercks. „Die Antwort kann aber nicht sein, dass wir die Starken schwächen.“
Der Außenhandelsverband BGA mahnte, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands dürfe nicht gefährdet werden. „Schließlich bestehen die deutschen Exportgüter mittlerweile zu etwa 40 Prozent aus Vorleistungsgütern, auch aus Frankreich“, sagte BGA-Chef Anton Börner. Um Investitionen zu beschleunigen, müssten Genehmigungsund Planungsverfahren deutlich verbessert werden. Auch aus Sicht des Maschinenbauverbandes VDMA ist der Exportüberschuss vor allem Ausdruck der Stärke der deutschen Industrie.
Begünstigt wird der deutsche Export auch durch den schwachen Euro infolge der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Dadurch werden Waren „Made in Germany“tendenziell auf dem Weltmarkt günstiger, das kann die Nachfrage ankurbeln.
Für die Entwicklung der Weltwirtschaft insgesamt zeichnete der IWF ein positives Bild und hob die Wachstumsprognose leicht an. Demnach soll die globale Wirtschaftsleistung im laufenden Jahr um 3,5 Prozent zulegen. Im zurückliegenden Ausblick im Januar hatte der IWF noch mit 3,4 Prozent gerechnet. Im vergangenen Jahr war die Weltwirtschaft um 3,1 Prozent gewachsen.
Für Deutschland sehen die Konjunkturexperten des IWF ebenfalls eine leicht erhöhte Wachstumsperspektive und gehen von einem Plus von 1,6 Prozent im laufenden Jahr aus. 2018 werde die deutsche Wirtschaft nur noch um 1,5 Prozent wachsen, hieß es. Damit bewegt sich das Land im Schnitt der Länder der Eurozone.