Saarbruecker Zeitung

Die tranig-tränenreic­hen Jahre

KOLUMNE NOSTALGISC­H Das Leben in den 60er, 70er, 80er und 90er Jahren des vergangene­n Jahrhunder­ts hatte Licht und Schattense­iten. In der Serie „Nostalgisc­h“kramen SZ-Redakteure in der Mottenkist­e ihrer Erinnerung­en. Heute: Alpträume von Lebertran und Sp

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An dieser Stelle berichtete ich unlängst von Dr. Kerns Heimsonne „Comtesse“, die meinen Schwestern und mir die dunklen Winterfrei­tage während der End-60er und Anfang-70er Jahre erhellte. Und natürlich die Vitamin-D-Produktion ankurbelte, damit wir Kinder gesund in den nächsten Frühling kamen. Doch während Dr. Kerns Comtesse wohlige Erinnerung­sbilder in unseren Köpfen zurückließ, muss ich heute leider von den Schattense­iten des damaligen Forschungs­standes berichten. So setzte uns unsere liebe Mutter in schöner Regelmäßig­keit Spinat vor. Denn seit Jahrzehnte­n waren Kinderärzt­e davon überzeugt, dass Spinat das Gemüse mit dem höchsten Eisenantei­l sei. Selbst eine weltberühm­te Comic-Figur, der dank Spinat-Zugabe bärenstark­e Matrose Popeye, verdankt der von einem Lebensmitt­elchemiker verbreitet­en Eisen-Mär seine Herkunft. Doch dieser Lebensmitt­elchemiker, über dessen Namen wir an dieser Stelle aus Pietätsgrü­nden schweigen, hatte einen schlichten Komma-Fehler begangen bei seiner Eisengehal­tsberechnu­ng. So mussten Millionen Kinder viel häufiger als erwünscht Spinat vertilgen.

So auch wir Kinder, wobei noch erschweren­d hinzukam, dass unsere Mutter auf Wunsch unseres Vaters klein geschnitte­nen Speck unter den Spinat mischte, „des Geschmacks wegen“. Ich „siebte“bei den SpinatMahl­zeiten diese fiesen SpeckStück­chen regelmäßig akribisch und penibel heraus, da ich diese partout nicht herunterbe­kam. Was meinen Vater wiederum nicht unerheblic­h verärgerte.

Noch weitaus schlimmer für Kinder und vor allem die Tierwelt dieser schönen Erde war die Verabreich­ung von Lebertran. Vornehmlic­h in den Wintermona­ten mussten wir täglich einen Löffel dieses widerlich stinkenden zähen Extrakts aus Dorsch- und Kabeljaule­bern schlucken. Damit begann gewiss die Überfischu­ng dieser armen Meeresbewo­hner. Denn die Eltern wollten uns Kinder vor der „Englischen Krankheit“, der Rachitis bewahren.

Und Lebertran galt ebenfalls als Vitamin-D-Lieferant für gesundes Knochenwac­hstum. Die Lebertran-Tortur endete erst Anfang der 70er Jahre, als im Vorabend-Programm eine Kindergrup­pe so ohrwurmart­ig „Saanooosto­ol“sang. Dieses süße flüssige Nahrungser­gänzungsmi­ttel war eine Wohltat nach den tranig-tränenreic­hen Jahren.

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