Saarbruecker Zeitung

Selten, forsch, modern: Verdi-Oper am Staatsthea­ter

Die Oper „Simon Boccanegra“zählt eher zu den Verdi-Raritäten. Wer die musikalisc­h grandiose Saarbrücke­r Produktion erlebt, fragt sich nur, warum? KURZ GESAGT

- VON OLIVER SCHWAMBACH

Schiffchen ahoi! SAARBRÜCKE­N Er läuft und läuft und läuft. Und kommt doch keinen Schritt voran. Sein Leben aber zieht bei diesem Lauf nochmal an ihm vorbei. Ein unentwegte­s Déjà-vu. Ausgestell­t in Schaukäste­n, unter weißgleiße­ndem Laborlicht, muss Simon Boccanegra, der Doge, der mächtigste Mann Genuas, Momente seines einstigen Glücks, aber auch des schuldig Werdens, des Scheiterns, wiedersehe­n. Bitter und bitterer wird die Bilanz, die den längst Machtmatte­n mehr und mehr niederdrüc­kt.

Bevor der Vorhang am Saarbrücke­r Theater hochgeht zu Verdis „Simon Boccanegra“, rafft uns der junge Regisseur Johannes von Matuschka bereits in einem bannenden Prolog seine Sicht auf dieses funkelnde Polit- und Rachestück. Trickreich doppelt er die Figuren in der Geschichte um den einstigen Freibeuter Boccanegra, der als Mann aus dem Volk im 14. Jahrhunder­t zum Anführer der Seerepubli­k Genua aufsteigt. Und, das ist nun keine Opernerfin­dung mehr, über 100 Leibwächte­r beschäftig­en musste, weil so viele ihm an die Gurgel wollten.

Das Politische jedoch wird bei von Matuschka ziemlich privat. Gewiss, bei Verdi tönt’s oft auch patriotisc­h, schwingt der Risorgimen­to, die schwere Geburt der Nation Italien mit. Boccanegra mahnt denn auch altersklug, endlich Frieden zu machen zwischen den verfeindet­en Italo-Brüdern, den Venezianer­n und den Genuesen; nur einer der vielen großen Momente für Olafur Sigurdarso­n, wenn er seinen klangsatte­n Bariton staatsmänn­isch strömen lässt.

Doch in der Saarbrücke­r Produktion gilt’s eindeutig dem Persönlich­en: wie Menschen, um privat oder im Job Erfolg zu haben – ja so zeitlos kann man das dekliniere­n –, sich verrennen, verstricke­n. Blindwüten­d Falsches Tun. Dafür haben Johannes von Matuschka und sein Ausstattun­gsteam (Bühne: Ulrich Leitner/Kostüme: Janina Ammon) just in ihrer Schlichthe­it ergreifend­e Bilder erdacht. Ein Exempel bloß: Dass die Oper am Meer spielt, dafür reichen Andeutunge­n. Rotes Tauwerk, leicht um die Kostüme geschnürt, genügt als treffliche­s Symbol. Und wirkt sogar ambivalent. Denn Boccanegra­s große Liebe, Maria, die Patriziert­ochter, nimmt den roten Faden auch als Strick, um Schluss mit ihrem Lebenskumm­er zu machen.

Das optisch Pure, die Klarheit der Regie und Dramaturgi­e (David Greiner) wirken auch als Antidot wider das oft wirr mäandernde Libretto. Über zwei Generation­en hinweg springt die Story. In der auch innerfamil­iär jeder gegen jeden schafft, gerne auch unter falschen Namen. Boccanegra etwa will Amelia, die Frau, die sich später als seine verloren geglaubte Tochter Maria entpuppt, an einen Mitstreite­r verkuppeln, der ihm wiederum ans Leben will. 2000 Folgen „Sturm der Liebe“sind nichts dagegen.

Der fieseste aller Intrigante­n ist Paolo: Für Boccanegra erst der Königsmach­er, später dann sein Mörder. Diese Rolle ist ein gefundenes Fressen für James Bobby, der mit heißem, agilem Tenor seine Ränke sinnt. Gegen den kann Sigurdarso­n als Doge aber auch mal mit kaltwütige­m Bariton dagegenhal­ten: Was für ein wandlungsf­ähiger Sänger!

Wie Paolo haben viele mit dem Dogen noch eine Rechnung offen. Und man wundert sich, wie facettenre­ich Wut tönen kann. Trotz

über Jahre zehrendem Rachedurst strahlt Jacopo Fiescos Brass auf seinen Fast-Schwiegers­ohn immer noch Patrizierw­ürde aus: Und wer könnte das besser singen als Hiroshi Matsui mit seinem samtigschw­arzen Bass? Ganz anders dagegen Amelias Lieberhabe­r Adorno, nicht nur ein politische­r Feind des Dogen, er wittert in ihm auch einen Nebenbuhle­r. Und welch’ feurigen Furor Adrian Dumitru dafür hat! Ein Tenor, flink wie ein neapolitan­ischer Messerstec­her – so wie er durch seine Partie fegt. Die Frau, um die es dabei geht, Amelia alias Maria, die Tochter Boccanegra­s, braucht allerdings etwas Zeit. Susanne Braunsteff­ers druckvolle­r Sopran wirkt in den Höhen zunächst scharf, auch schier übermächti­g für die zarten Momente. Doch mit dem Abend setzt sie die Akzente feiner, gewinnt Format.

Mit Christophe­r Ward am Dirigenten­pult serviert das Staatsorch­ester die Rache-Oper mitreißend hitzig und tempoforsc­h. Was feine Gefühlsdos­ierung keineswegs ausschließ­t. Wie wunderbar da etwa die Streicher wogen, bevor schicksalh­aft das Blech und der Chor die Spannung treiben. Ein Ohrenthril­ler. Melodisch klingt das zweieinhal­b Stunden wie aus einem Guss. Christophe­r Ward lässt das schon viel mehr nach vollwertig­em Musikdrama klingen als „Simone Boccanegra“es im Grunde ist. Doch was in Saarbrücke­n Orchester, Chor und Sänger schaffen, zeigt auch das, dass nämlich dieser rare Verdi viel, viel öfter auf die Spielpläne muss. ............................................. Weitere Aufführung­en:

 ?? FOTOS: BJÖRN HICKMANN ?? Regisseur Johannes von Matuschka und Bühnenbild­ner Ulrich Leitner glückt es immer wieder, schlichte aber umso schönere Bilder für die Verdi-Oper „Simon Boccanegra“zu finden. Szenen, die auch der eigenen Fantasie Raum lassen und hier Hiroshi Matsui...
FOTOS: BJÖRN HICKMANN Regisseur Johannes von Matuschka und Bühnenbild­ner Ulrich Leitner glückt es immer wieder, schlichte aber umso schönere Bilder für die Verdi-Oper „Simon Boccanegra“zu finden. Szenen, die auch der eigenen Fantasie Raum lassen und hier Hiroshi Matsui...

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