Europas banger Blick auf Paris
Nicht nur Brüssel zeigt sich nervös, gilt doch die Wahl in Frankreich als Richtungsentscheidung für den ganzen europäischen Kontinent.
PARIS (dpa) Welche Überraschung kommt jetzt noch? Diese Frage stellten sich viele Franzosen nach einem chaotischen Präsidentschaftswahlkampf, der von vielen unerwarteten Wendungen geprägt war. Die erste Wahlrunde gestern war gekennzeichnet von hoher Unsicherheit und Nervosität. Viele Wähler zögerten bis zuletzt, wo sie ihr Kreuz machen sollten.
Dazu kam die akute Terrorgefahr, die nach dem tödlichen Anschlag auf Polizisten in Paris wieder in den Vordergrund rückte und auch das Wahlergebnis beeinflussen könnte. Die Wahl wird auch international sehr genau beobachtet. Denn im Kern geht es darum, ob es am Ende Populisten schaffen, Frankreich nach dem Brexit und der USWahl aus seiner tiefen europäischen Verankerung zu reißen und auf einen Abschottungskurs zu führen, der von vielen als gefährlich angesehen wird.
Das Unbehagen ist groß – und geht weit über den klassischen Politikbetrieb hinaus. So warnt der Dirigent und Pianist Daniel Barenboim (74), ein nationalistischer Rückschlag wäre fatal für Europas Zukunft. Angesichts der Siegeschancen von Marine Le Pen sagte er: „Der Nationalismus ist ein Ausdruck des Unbehagens mit der Globalisierung, aber er ist das Gegenteil von wahrem Patriotismus.“
Überall läuten die Alarmglocken: Da Marine Le Pen nun am 7. Mai in die Stichwahl gelangt, könnte die Euro-Währung unter Druck kommen, lautet die Befürchtung an den Finanzmärkten. Denn Le Pen hat angekündigt, in ihrem Land den „neuen Franc“einzuführen und das europäische Schengen-Abkommen für freies Reisen zu verlassen.
Gefürchtet wurde im Vorfeld auch der Linkspopulist Mélenchon, der allerdings in der ersten Runde rausflog. Er feuerte ebenfalls Breitseiten gegen Brüssel und wollte eine Neuverhandlung der EU-Verträge – und über das Ergebnis in einem Referendum abstimmen lassen. Der 65-Jährige profitierte im Wahlkampf von einer weit verbreiteten Friedenssehnsucht – so strebte er einen Nato-Austritt an, um Frankreich aus Kriegen herauszuhalten.
Anders als bei früheren Abstimmungen fehlten zunächst klare Favoriten für die Nachfolge des glücklosen Amtsinhabers François Hollande. Der 62 Jahre alte Sozialist hinterlässt ein Land in angeschlagener Verfassung. So liegt die Arbeitslosenquote bei zehn Prozent – und damit rund zweieinhalb Mal so hoch wie beim wichtigsten Partner Deutschland.
Kein Kandidat habe es geschafft, ein Thema in der Debatte zu verankern, bilanzierte die Tageszeitung „Le Monde“. Im Wahlkampf ging es vor allem um Europa, Sicherheit, soziale Sicherheit und die Einwanderungspolitik.
Der gewaltsame Tod eines Polizisten auf dem Pariser Vorzeigeboulevard Champs-Élysées am vergangenen Donnerstag erschütterte das Land. Die beispiellose Terrorwelle forderte im Land bereits fast 240 Tote. Le Pen will im Fall eines Sieges Frankreichs Grenzen wieder kontrollieren und ausländische Straftäter sofort ausweisen. Nach dem Schock über das Brexit-Votum und die USWahl rechnet EUKommissar Maros Sefcovic mit dem Sieg eines europafreundlichen Kandidaten in Frankreich. „Nach all der Unsicherheit, die diese Abstimmungen brachten, werden die französischen Wähler weise entscheiden und die europäische Zusammenarbeit weiter mittragen“, sagte der aus der Slowakei stammende Sefcovic.
Der saarländische Europapolitiker Jo Leinen (SPD) zeigte sich gestern Abend optimistisch: „Das Ergebnis des ersten Wahlgangs birgt die Chance auf einen positiven Ausgang der Wahlen in Frankreich im zweiten Wahlgang“, sagte er. Dennoch sei die Unterstützung von nationalistischen Parolen des Front National erschreckend und besorgniserregend.
Im Vorfeld hatte sich der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Auswärtiges, Norbert Röttgen (CDU, besorgt geäußert: „Wenn diese eine Wahl in Europa noch schiefgeht, dann sind wir jenseits des Abgrunds, dann wären wir an einem toten Punkt der europäischen Integration“, sagte er dem Deutschlandfunk.
Marcos Sefcovic
„Nach all der Unsicherheit (…)
werden die französischen Wähler weise entscheiden.“