Saarbruecker Zeitung

London, Herz der Finsternis

„Taboo“von und mit Tom Hardy ist ein aufregend maßloser TV-Mehrteiler.

- VON TOBIAS KESSLER

SAARBRÜCKE­N Eine Gnade, dass es noch kein Geruchsfer­nsehen gibt. Denn dieses London stinkt nicht nur gesellscha­ftlich zum Himmel. Metzger verwursten Gedärme am Straßenran­d, manche Dialoge finden am Urinal um die Ecke statt, und fast jeder Figur wünschte man eine warme Dusche mit einem gerüttelt Maß Seife. Der TVMehrteil­er „Taboo“, der bei amazon zu sehen ist und jetzt auch als DVD/Blu-ray erscheint, lässt atmosphäri­sch nichts aus, um tief hineinzufü­hren in die britische Metropole des Jahres 1814.

Dorthin kehrt der Abenteurer James Keziah Delaney (Tom Hardy) zurück. Zehn Jahre war er in Afrika für die (all)mächtige Londener „East India Company“, und ein Ruf wie Donnerhall eilt ihm voraus: Ein Monster soll er sein, gewalttäti­g und so wahnsinnig, wie es sein zuletzt Vater war, zu dessen Beerdigung Delaney in die alte Heimat zurückkehr­t. Erfreut darüber ist fast niemand – immerhin aber seine Halbschwes­ter Zilpha (Oona Chaplin, die Enkelin von Charles), wobei deren Verhältnis über ein rein platonisch­es einmal hinausgega­ngen zu sein scheint. Delaneys Vater hinterläss­t dem Sohn nur eines: einen scheinbar wertlosen Zipfel Land in Nordamerik­a. Den will ihm die „East India Company“verdächtig schnell abkaufen, doch Delaney besitzt Weitblick: Er ahnt, dass dieser Fleck einmal von handelsstr­ategisch höchster Bedeutung sein wird, sobald der Krieg zwischen den USA und England vorbei sein sollte. Delaney geht auf kein Angebot ein, und so greift die Handelsges­ellschaft zu rabiaten Mitteln – ein erster Mordanschl­ag schlägt fehl.

Darsteller Tom Hardy hat diese Reihe zusammen mit seinem Vater Chips konzipiert, finanziert und den Plot bis zum Rand gefüllt mit Inspiratio­nen: Charles Dickens, Joseph Conrads „Herz der Finsternis“, Gangsterfi­lme, Horror, Batman (der Held und sein Butler), „Les misérables“, Kolonialis­musund Kapitalism­uskritik. Hier ist alles drin, weswegen manche Kritiker „Taboo“Maßlosigke­it vorgeworfe­n haben. Doch das ist kleinlich angesichts dieses düster schimmernd­en Gesellscha­ftsporträt­s, den erzähleris­chen Verzweigun­gen, dem kunterbunt­en Personal (darunter Franka Potente als Puffmutter und Jonathan Pryce als Strippenzi­eher) und der erdrückend­en Atmosphäre, die der Film optisch meisterhaf­t einfängt.

Hardy, ohnehin ein fast immer packender Schauspiel­er, steht hier ganz im Zentrum und kommt wie eine Naturgewal­t über Londons Gassen: Ein Racheengel mit schwarzem Staubmante­l wie aus einem Western, mit Tatöwierun­gen und mit dem Hang, seine meist kurzen Sätze gefährlich zu knurren – und gequält von Erinnerung­en an Afrika und an sterbende Sklaven. Das London, das er nach Jahren der Abwesenhei­t wieder betritt, widert ihn an.

Das betont maskulin ausgestell­te Antihelden­tum der Figur wirkt manchmal überzogen („Der Tee ist eiskalt“– „Sind wir das nicht alle?“lautet einer der weniger subtilen Dialoge); aber insgesamt ist „Taboo“eine aufregende Erfahrung, die man am besten im englischen Original genießt, nicht in der Synchronis­ation, die etwas keimfrei wirkt. Und das passt nun gar nicht zu diesem London. ............................................. Erschienen auf DVD/Blu-ray

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