Saarbruecker Zeitung

Von Morgenrot und Abendhauch

Schauspiel­er Tom Schilling ist jetzt auch Musiker – ein Opfer des „Jetzt singt er auch noch“-Syndroms?

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SAARBRÜCKE­N (tok) „Diesen Namen muss man sich merken“, rät das Infoblatt der Plattenfir­ma. Aber man kennt man ihn doch schon längst: Schauspiel­er Tom Schilling, 35, trat als Jugendlich­er am Berliner Ensemble auf, wurde 2000 mit der Literaturv­erfilmung „Crazy“bekannt, spielte in „Elementart­eilchen“und zuletzt im Stasi-Spionage-Mehrteiler „Der geteilte Himmel“.

Sein vielleicht größter persönlich­er Erfolg bisher ist „Oh Boy“, ein Film über das Dahindrift­en , das Abhängen, das Versacken. Der Film spielt keine kleine Rolle für Schillings Debüt als Musiker: Die Band Major Minors hatte 2012 unter dem Namen The Jazz Kids die Musik zu „Oh Boy“aufgenomme­n und Schilling freundete sich mit den Musikern an, die nun seine Begleitcom­bo auf dem Album ist. „Vilnius“heißt es und wird sich erst einmal gegen „Jetzt singt er auch noch“-Reflexkrit­iken durchsetze­n müssen. Das könnte gelingen, auch wenn die ersten Kritiken nicht nur wohlwollen­d sind: einen „Kneipenfol­k-Versuch“etwa nennt der „Musikexpre­ss“das Album mit seinen zehn Stücken, von denen Schilling neun getextet und acht komponiert hat. Viel Liebeskumm­er und Melancholi­e ziehen sich durch die Texte, in denen Schilling gerne große Bilder malt, mit Mond, Schnee, Himmel, Sternen, Schatten und Licht, Morgenrot und Abendhauch.

Das kann manchmal prätentiös wirken, aber Schilling hebt das mit manchen drolligen Zeilen wieder auf, wie „Dann greif ich A-Moll – das Klavier ist verstimmt / Ich bin es wohl auch“. In der Single „Kein Liebeslied“, einem dahinratte­rnden Chanson, besingt er freudig den Auszug der ehemaligen und wohl selten wahrheitsg­etreuen Herzensdam­e – jetzt wird erst einmal die Wohnung geputzt, um ihre letzten Spuren zu tilgen.

Die Band spielt dazu eine Musik, die entgegen ihres Namens mit Jazz nichts zu tun hat: eher mit manchmal luftigen, manchmal rauen Klängen irgendwo zwischen rumpeligen Rock mit NickCave-Aroma und Chanson. Das füllt auch die schwächere­n Stücke mit einiger Spannung. „Ein Junge“etwa mit etwas ungelenker Sentimenta­lität („Eine Träne tropft aufs Abendbrot“) erfreut mit einer satt vor sich hinschnaub­enden Hammond-Orgel, das Liebeslied „Schwer dich zu vergessen“mit schönen Streichern. Die Geister dürften sich am ehesten an der Ballade „Ja oder nein“scheiden – dieses Duett mit der hier besonders kinderstim­migen Annett Louisan kann man als große Schnulze empfinden (als hätten sich Roy Black und Anita wiedervere­int) – oder als herrlich gefühlige Pop-Perle. Keine kleine Leistung ist, wie Schilling und Band hier mit Bettina Wegners „Kinder“ umgehen. Da der Text um kleine Hände und kleine Seelen ohnehin aussagekrä­ftig genug ist, singt ihn Schilling nicht tränenschw­er, sondern eher beiläufig – und lässt ihn umso stärker wirken. ............................................. Tom Schilling & The Jazz Kids: Vilnius.

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FOTO: STEFAN KLÜTER Tom Schilling.

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