Wortgewandt, elegant und radikal liberal
PORTRÄT In ihren zahlreichen Fernseh-Auftritten gibt sich Alice Weidel, die neue Spitzenkandidatin der AfD, gern gemäßigt. Doch dieser Eindruck täuscht.
BERLIN Auf den ersten Blick ist Alice Weidel das wirtschaftsliberale, freundliche Gesicht der AfD. Bei ihren häufigen Talkshow-Auftritten besticht sie durch Eleganz und Wortgewandtheit. Anders als etwa Partei-Vizechefin Beatrix von Storch polemisiert sie nicht, sondern hält sich lieber zurück. Das kommt gut an. Weidels FacebookSeite ist voller Lobesbekundungen. „Ich hoffe ihr Einfluss auf die AfD macht die Partei auch für mich wählbar!“, schreibt einer.
Fast sechs Jahre lang forscht und arbeitet die Volkswirtin in China. 2012 kommt sie zurück nach Deutschland und begeistert sich für ein neues Thema: die Euro-Krise. Sie ist strikt dagegen, dass die EU Kredite an Griechenland gibt. Nur eine Partei vertritt damals diese Position: die AfD. Noch im Gründungsjahr 2013 wird Weidel Parteimitglied und macht schnell Karriere. Dieses Jahr führt sie die Partei als Spitzenkandidatin zusammen mit Alexander Gauland in den Bundestagswahlkampf.
Weidels Lieblingsthema ist bis heute der Euro. Er gehöre abgeschafft, stattdessen möge man eine „D-Mark 2.0“einführen und darüber ein Referendum abhalten. Überhaupt fordert die Unternehmensberaterin mit Wohnsitz am Bodensee mehr direkte Demokratie, nach Schweizer Vorbild.
Als Ökonomin orientiert sich Weidel an dem 1992 verstorbenen Friedrich von Hayek, dem wichtigsten Vertreter der liberalen Österreichischen Schule. Hayeks These: Nicht nur der Sozialismus, auch der demokratische Fürsorgestaat führt in eine Planungsspirale, an deren Ende die Unfreiheit steht. Die Lösung: Der Staat soll sich aus dem Allermeisten heraushalten. Niedrige Steuern, niedrige Sozialausgaben, der Markt werde es schon richten. Das führt dazu, dass Hayek-Anhänger etwa den Klimaschutz ablehnen, wegen der zu großen Einmischung des Staates in die Wirtschaft. Auch Weidel ist gegen die Energiewende.
Liberal ist die 38-Jährige aber nicht nur in wirtschaftspolitischen Fragen, sondern auch in gesellschaftlichen. Vor einem Jahr wurde sie in der ARD-Talkshow „Maischberger“von der Moderatorin als lesbisch geoutet. Weidel sagte daraufhin, man müsse zwischen Privatem und Politik trennen. Ihre Söhne zieht sie mit ihrer Lebensgefährtin, einer Schweizerin, auf. Wegen ihres Lebenslaufs, ihrer Homosexualität und ihrer wirtschaftsliberalen Einstellung wird die AfD-Frau manchmal gefragt, ob sie in der falschen Partei sei. Das sieht Weidel nicht so.
So besonnen sie in Talkshows wirkt, so radikal sind viele ihrer Positionen. Auf ihrer Facebook-Seite polemisiert sie, Deutschland sei „Dank Angela Merkel zum kriminellen Hotspot geworden“. Täter sähen immer wieder „südländisch“aus. Weidel spricht von „Asylkatastrophe“und schreibt im Oktober 2016 auf Facebook, deutsche Steuerzahler würden einem „Millionenheer von ungebildeten Migranten aus dem Nahen Osten und Afrika eine Rundumsorglos-Vollversorgung finanzieren“. In einem Gastbeitrag für die „Junge Freiheit“erklärt sie zur selben Zeit, es dürfe „keine prinzipielle Religionsfreiheit für den Islam“geben. Denn der sei nicht nur Religion, sondern „vielmehr ein allumfassendes Gesellschaftssystem“.
Von den völkischen Aussagen mancher Parteigenossen distanziert sich Alice Weidel aber. Über Björn Höcke, den thüringischen AfD-Chef, sagte sie vor einem Jahr: „Ich kann mit diesem völkischen Gerede nichts anfangen, und das ist auch enorm schädlich für die AfD.“Nach Höckes umstrittener Dresdner Rede im Januar 2017 unterstützt sie den Antrag, ihn aus der Partei auszuschließen.
Tania Rötter ist Redakteurin des Recherchezentrums Correctiv, mit dem unsere Zeitung kooperiert.