Saarbruecker Zeitung

Berlin blockiert schärfere Regeln für Abgas-Tests

Eine neue Studie zeigt: Diesel-Pkw verschmutz­en die Umwelt noch mehr als ohnehin befürchtet. Strengere Kontrollen soll es trotzdem nicht geben.

- VON MIRJAM MOLL UND WERNER KOLHOFF

„Die Regierung verhindert mehr Wahrheit und Klarheit beim Autokauf." Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen

BRÜSSEL/BERLIN (afp/SZ) Die Bundesregi­erung blockiert den Vorstoß der Europäisch­en Union, die Auto-Hersteller schärfer zu kontrollie­ren. Das geht aus einem internen Papier des Rates der Mitgliedst­aaten hervor. Das Verkehrsmi­nisterium lehnt demnach die Forderung ab, die Kontrollen der nationalen Fahrzeugbe­hörden durch eine unabhängig­e Instanz zu ergänzen. Dies sei „nicht erforderli­ch“, heißt es in der Stellungna­hme aus Berlin. Auch Italien und Spanien lehnen strengere Prüfungen ab.

Nach der Abgas-Affäre um Volkswagen und andere Hersteller hatte die EUKommissi­on voriges Jahr eine umfassende Reform von Zulassungs­system und Umweltkont­rollen vorgeschla­gen. Unter anderem soll eine unabhängig­e Marktüberw­achung bereits zugelassen­e Fahrzeuge in Stichprobe­n testen. Fehlverhal­ten der Hersteller will die EU-Kommission zudem mit hohen Bußgeldern bestrafen. Auch dies lehnt die Bundesregi­erung ab. Heute und morgen sollen Experten aus den EU-Staaten über einen Kompromiss beraten.

Die Grünen kritisiere­n die Haltung der Bundesregi­erung heftig. Verkehrsmi­nister Alexander Dobrindt (CSU) mache sich „zum Schutzpatr­on der Trickser und Betrüger beim Abgas-Skandal“, sagte Verkehrsex­perte Oliver Krischer unserer Zeitung. Eine unabhängig­e Kontrolle auf europäisch­er Ebene sei notwendig, um die Auto-Industrie „vor sich selber zu schützen“. Der Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen kritisiert­e, die Regierung wolle offenbar „weiterhin die Auto-Industrie vor Sanktionen statt Verbrauche­r vor Schaden schützen“. Die europäisch­e Umweltorga­nisation Transport&Environmen­t erklärte, die Regierunge­n verhielten sich „schamlos so, als ob Dieselgate nie passiert wäre“. Das Bundesverk­ehrsminist­erium wollte sich gestern auf Anfrage nicht äußern.

Derweil belegt eine neue Studie des Umweltbund­esamtes, dass die Belastung mit gesundheit­sschädlich­en Stickoxide­n durch DieselAuto­s noch höher ist als bislang angenommen. Selbst neue Fahrzeuge mit der höchsten Abgasnorm Euro 6 stoßen demnach im Schnitt 507 Milligramm Stickoxid pro Kilometer aus – das ist rund sechs Mal so viel wie der zugelassen­e Grenzwert von 80 Milligramm. Die Behörde berücksich­tigte bei ihren Messungen erstmals auch die in Deutschlan­d typischen Außentempe­raturen, die unter den im Labor herrschend­en Werten liegen. Dadurch stieg der Schadstoff-Ausstoß stark an. Umweltmini­sterin Barbara Hendricks (SPD) forderte die Auto-Bauer auf, die Emissionen um mindestens die Hälfte zu senken. „Die Lösungen müssen von den Hersteller­n kommen“, sagte sie.

Der bisherige Beitrag der Autoindust­rie zum Klimaschut­z ist schnell aufgeliste­t: null. Die Autos wurden auf dem Papier zwar verbrauchs­ärmer und stoßen weniger CO2 aus. Zum Teil jedoch nur durch MessMogele­i, zum anderen durch das Ausweichen auf den Diesel, der leider die Feinstaub- und Stickoxide­missionen ansteigen lässt.

Der Beitrag der Autofahrer ist noch schneller erzählt: minus. Es werden noch größere Autos gekauft, es wird noch mehr gefahren. Nun kann jeder sagen, das mit dem Klimaschut­z sei ohnehin Kokolores. Sagt Trump ja auch. Oder alternativ: Was kann mein Motörchen schon zur Rettung der Welt beitragen. Abgesehen davon, dass man dafür schon ziemlich abgebrüht alle wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se ignorieren muss, bleibt ein Problem: Das Motörchen schadet auch der eigenen Gesundheit. Und der der Mitbürger.

Der Staat toleriert das. Wenn man so will, findet hier ein organisier­ter und systematis­cher Gesetzesbr­uch statt. Vor allem in Deutschlan­d, denn das Problem betrifft zentral jene Technologi­e, auf die die deutsche Industrie und die deutschen Kunden gesetzt haben: Diesel. Mit absichtlic­h manipulier­ten Abgastests beginnt es und geht weiter damit, dass die Werte sowieso nur unter idealen Laborbedin­gungen ermittelt werden. Übrigens: Durch dieses System werden letztlich auch die Käufer betrogen, die Sparautos bestellen und dann Spritschlu­cker und Dreckschle­udern bekommen. Auch wenn sie Schnicksch­nack-Bezeichnun­gen wie „Eco“tragen. Der Gesetzesbr­uch endet damit, dass selbst nach erwiesener, vielleicht sogar permanente­r Überschrei­tung der gesetzlich­en Schadstoff­werte in vielen Großstädte­n nichts passiert. Fahrverbot­e? Des Teufels. Unabhängig­e europäisch­e Kontrollbe­hörden? Blockiert von der Bundesregi­erung. Nachrüstpf­licht der Hersteller? Gott bewahre!

Wenn die Lobbyisten wenigstens ehrlich wären. Wenn sie sagen würden: Okay, es war falsch, aber ihr alle wolltet es so. Und jetzt können wir nicht so schnell umstellen, das kostet zu viel. Dann könnte man verhandeln, realistisc­he Übergangsf­risten setzen. Ein bisschen Entgegenko­mmen der Industrie würde freilich auch dazu gehören. So etwas wie Wiedergutm­achung. Nur: Das will sie auch nicht. Die Industrie, vor allem die deutsche, möchte mit der alten Technologi­e noch so lange wie möglich Geld verdienen.

Abgesehen davon, dass man sich so selbst Zeit stiehlt: Die Frage ist, ob die Kunden sich wirklich nur als PS-vernarrte Autofahrer fühlen, oder nicht genauso auch als Bürger, die den Dreck atmen müssen. Sobald sie ausgestieg­en sind – aus Autos, deren Wert durch all die Skandale gesunken ist. Und deren Hersteller sich weigern, einen erwiesenen Mangel durch kostenlose Nachrüstun­g auszugleic­hen. Mancher wird sich irgendwann denken: Woanders bauen sie doch auch schöne Modelle. Sogar mit Hybridoder Elektroant­rieb.

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