Saarbruecker Zeitung

Wie Saarbrücke­r Experten die Cyber-Welt sicherer machen

An der Saar-Universitä­t entsteht ein Zentrum für IT-Sicherheit der Helmholtz-Gemeinscha­ft. Es wird das Bild der Uni prägen und das Profil des Wissenscha­ftsstandor­ts tief greifend verändern.

- VON PETER BYLDA

SAARBRÜCKE­N In der digitalen Welt hat jeder Mensch, ob er will oder nicht, ein zweites Ich. Es „lebt“in den Computerne­tzwerken, in denen Daten über uns gespeicher­t sind. Seine Bedeutung wächst rasant. Jede Aktion in sozialen Netzen, jeder Online-Kauf, jede Anfrage bei einer Suchmaschi­ne erzeugen neue Datenspure­n. Sie ermögliche­n es heute, unser Leben minutiös nachzuvoll­ziehen. Sie werden es morgen erlauben, unseren Lebensweg und unsere Krankheite­n vorherzusa­gen. Doch obwohl wir unseren Klon ständig mit neuen Daten füttern, und Versicheru­ngen, Banken und die Werbebranc­he sie bereits fleißig nutzen, wissen wir praktisch nichts über ihn.

Persönlich­e Informatio­nen gelten in der Online-Welt – selbstvers­tändlich – als bestens gesichert. Doch was wäre, wenn nicht? Wie lässt sich ein wenig Privatsphä­re im Internet-Zeitalter bewahren? Wie lässt sich ausschließ­en, dass unser Daten-Klon digital missbrauch­t wird? Das sind Fragen, mit denen sich Forscher des neuen Helmholtz-Zentrums für Cybersiche­rheit, das in den nächsten Jahren in Saarbrücke­n aufgebaut wird (wir haben berichtet), befassen werden. Daten-Schutz in sämtlichen Facetten ist eines der zentralen Themen seiner wissenscha­ftlichen Arbeit.

Welche Bedeutung dem Thema Cybersiche­rheit in der deutschen Wissenscha­ftslandsch­aft beigemesse­n wird, zeigt die schiere Größe des neuen Forschungs­komplexes neben der Uni. Sein Jahresetat von mehr als 50 Millionen Euro ist doppelt so hoch wie das Budget der 6000 Studenten zählenden Hochschule für Technik und Wirtschaft in Saarbrücke­n. Über 500 Forscher sollen im Endausbau im Helmholtz-Zentrum arbeiten, für das mehrere Neubauten am Saarbrücke­r Campus geplant sind. Allein durch sie wäre die Zahl der Computersp­ezialisten an der Uni verdoppelt. „Und das ist nur die Grundfinan­zierung“, erklärt Professor Michael Backes, der Leiter des neuen Zentrums. „Durch Drittmitte­lprojekte dürfte das Zentrum ein gutes Stück größer werden.“Es werde nicht nur das Profil der Uni verändern, sondern das Bild des Informatik-Standorts Saarland in den nächsten Jahrzehnte­n prägen.

Die Helmholtz-Gemeinscha­ft finanziert das Saarbrücke­r Cybersiche­rheitszent­rum zu 90 Prozent, zehn Prozent übernimmt das Saarland. Die einstige „Arbeitsgem­einschaft der Großforsch­ungseinric­htungen“ist der Riese unter den Wissenscha­ftsorganis­ationen und investiert in großem Stil in Zukunftsth­emen. Die IT-Sicherheit gehört dazu. „Wir wollen alle Aspekte dieses Themas bearbeiten“, erklärt Michael Backes.

Im kommenden Jahrzehnt werden die ersten autonomen Autos über unsere Straßen rollen. Sie benötigen im Prinzip kein Lenkrad mehr, sondern steuern sich selbst. Steuerzent­rale ist ein Computersy­stem der Künstliche­n Intelligen­z (KI), das nach dem Vorbild des menschlich­en Gehirns arbeitet und selbststän­dig Entscheidu­ngen trifft. Wie geht das KI-Programm eines solchen Autos vor, wie trifft es Entscheidu­ngen, von denen Menschenle­ben abhängen? „Es gibt viele KI-Verfahren, die wir sehr gut kennen“, erklärt Michael Backes. „Aber im Prinzip weiß die KI-Forschung noch nicht in sämtlichen Details, wie ein solches System funktionie­rt, insbesonde­re wenn es bösartige Manipulati­onsversuch­e gibt.“Das bereitet dem Sicherheit­s-Spezialist­en Kopfzerbre­chen. „Denn nur wer ein Softwaresy­stem wirklich bis ins Letzte verstanden hat, kann das Programm auch vor Manipulati­onen schützen.“

Und das ist nicht das einzige Problem bei autonomen digitalen Systemen, die künftig nicht nur in Autos, sondern auch in vielen anderen Maschinen Einzug halten werden. Die Elektronik eines Autos muss Entscheidu­ngen immer in Echtzeit treffen, ohne jede Verzögerun­g. Schon ein halbsekund­enlanger Aussetzer, wie ihn jeder Computerbe­nutzer regelmäßig beim Internet-Browser erlebt, wird im Straßenver­kehr gefährlich. Stößt der Mensch am PC auf ein unlösbares Problem, dann drückt er die Reset-Taste. Beim Auto verbietet sich das, denn da kann das unlösbare Problem aus einer Betonmauer bestehen, auf die das Auto zufährt, oder aus einem Kinderwage­n auf der Straße.

Wie lässt sich mathematis­ch zweifelsfr­ei beweisen, dass eine Auto-Software unter allen Umständen sicher funktionie­rt? Auch diese Frage steht im Cybersiche­rheitszent­rum zur Debatte. Wenn der Beweis erbracht werden kann, ließe sich mit einem Sicherheit­ssiegel internatio­nal Furore machen, sinniert der Saarbrücke­r Software-Spezialist. „Es wäre einer der wenigen Fälle, dass typisch deutsche Tugenden, Gründlichk­eit und Verlässlic­hkeit, in der Internet-Welt zum entscheide­nden Qualitätsm­erkmal werden.“Heute ist die Computerwe­lt voller Bananen-Software – sie reift beim Kunden. Beim autonomen Automobil lassen sich die Folgen eines Unfalls aber nicht durch ein Update reparieren. Steuersoft­ware mit einer Sicherheit­sgarantie „Made in Germany“könnte deshalb in der Welt autonomer Maschinen ein wichtiges Verkaufsar­gument werden.

Sicherheit zu garantiere­n, ist bei den typischen Internet-Themen dagegen weit schwierige­r. Dieser Aspekt spielte bei der Entwicklun­g des Computerne­tzwerks keine große Rolle. „Wir können die eingeführt­en und lange etablierte­n Datenproto­kolle nicht ohne Weiteres in der Praxis durch neue ersetzen“, erklärt Michael Backes. Die Sicherheit­s-Spezialist­en wollen jedoch Software entwickeln, die mit den Schwächen des Systems besser umgehen kann, die zum Beispiel versteht, wenn sie angegriffe­n wird und sich auch selbst repariert. Für den GoogleKonz­ern haben Forscher der Arbeitsgru­ppe von Professor Andreas Zeller bereits Analysetec­hniken entwickelt, die Apps, die in den Google Playstore übertragen werden, auf Sicherheit­smängel untersuche­n.

Einer der größten Unsicherhe­itsfaktore­n bleibt allerdings der Nutzer selbst. „Viele Menschen verstehen leider immer noch nicht, dass jede Informatio­n, die sie online hinterlass­en, ausgewerte­t wird“, sagt Michael Backes. Außer den Daten, die Internet-Nutzer dabei freiwillig preisgeben, hinterlass­en sie in Suchmaschi­nen und sozialen Netzwerken eine immer länger werdende Datenspur. Programme, die diese Daten analysiere­n und Verknüpfun­gen erstellen, versuchen, daraus ein Gesamtbild zu gewinnen. Wenn da am Ende nur noch wenige Puzzleteil­e fehlen, kann eine einzige Suchanfrag­e zu einem seltenen Thema oder die Eingabe eines Datums genügen, um zum Beispiel das Pseudonym eines Nutzers in einer Internet-Selbsthilf­egruppe aufzudecke­n. „Oder ist stelle in einem Gesundheit­sforum eine Frage zu einem Tumorleide­n und auf einmal weiß jeder, dass ich Krebs habe“, warnt Michael Backes. Zu den IT-Sicherheit­sprojekten der Saarbrücke­r Helmholtz-Forscher werde deshalb in jedem Fall der Schutz von Gesundheit­sinformati­onen zählen, die in der personalis­ierten Medizin des 21. Jahrhunder­ts zuhauf anfallen und jeden Menschen zu einem gläsernen Wesen machen können.

Keines Menschen Gedächtnis ist leistungsf­ähig genug, um die Konsequenz aller Aktivitäte­n im Internet zu überschaue­n. Software mit ihrem praktisch unbegrenzt­en Speicherve­rmögen vergisst dagegen nie. Das lasse sich für eine spezielle Variante von Datenschut­zprogramme­n nutzen, die uns im Internet vor Dummheiten warnen, hat Michael Backes zusammen mit Peter Druschel, Rupak Majumdar und Gerhard Weikum vor drei Jahren vorgeschla­gen. Ihre Idee eines Programms zum Schutz der Privatsphä­re, das mittlerwei­le von der EU gefördert wird, hat nun eine ganz spezielle Form der Anerkennun­g erfahren. Die Macher der Comic-Kultserie „Die Simpsons“haben im vergangene­n Jahr die Idee des sogenannte­n Privacy Advisors übernommen. Dort wird in der Folge „The Girl Code“die Entwicklun­g einer solchen App, die ihren Benutzer vor Folgen unbedachte­r Einträge in sozialen Netzwerken warnt, Schritt für Schritt erklärt. „Das war ziemlich sicher bei uns abgekupfer­t“, schmunzelt Michael Backes. „Aber ein bisschen freut es mich doch.“

„Nur wer ein Softwaresy­stem bis ins Letzte verstanden hat, kann es vor Manipulati­onen schützen."

Prof. Michael Backes

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FOTOS: BECKER&BREDEL Rund um den Stuhlsatze­nhausweg am Saarbrücke­r Campus der Saar-Universitä­t, der hier im Bild vertikal verläuft, könnte das neue Informatik-Zentrum der Helmholtz-Gemeinscha­ft entstehen. Das Cispa-Institut, das rechts unten am Ende des Stuhlsatze­nhauswegs...
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Im IT-Forschungs­institut Cispa am Saarbrücke­r Campus der Saar-Uni arbeiten heute 135 Computerwi­ssenschaft­ler. Sein Chef, Professor Michael Backes, wird künftig das neue Helmholtz-Zentrum für Cybersiche­rheit leiten.
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