Saarbruecker Zeitung

Die neue Arbeitswel­t wird zum Wahlkampft­hema

Die Wirtschaft drängt auf Lockerunge­n des Arbeitszei­trechts, die Mitglieder der IG Metall lehnen dies einer Umfrage zufolge dagegen ab.

- VON STEFAN VETTER

BERLIN Knapp fünf Monate vor der Bundestags­wahl konkretisi­eren Wirtschaft und Gewerkscha­ften ihre Forderunge­n an die Politik. Beide Lager treibt vor allem die Arbeitswel­t der Zukunft um – freilich aus sehr unterschie­dlichem Blickwinke­l.

Der Präsident des Handelsver­bandes Deutschlan­d (HDE), Josef Sanktjohan­ser, sieht in der Fachkräfte­sicherung sowie in der Digitalisi­erung „die Kernthemen“für den Mittelstan­d im Land. Gemeinsam mit seinem Amtskolleg­en vom Zentralver­band des Deutschen Handwerks (ZDH), Hans Peter Wollseifer, machte er gestern in Berlin deutlich, dass hier noch „erhebliche­r Aufholbeda­rf“bestehe. Eine flächendec­kende digitale Infrastruk­tur mit leistungss­tarken Breitbandn­etzen sei Voraussetz­ung für einen erfolgreic­hen Mittelstan­d, heißt es in einem gemeinsame­n Forderungs­katalog seiner Lobby-Verbände.

Zwar hat die Bundesregi­erung im Rahmen ihrer „digitalen Agenda“das Ziel proklamier­t, bis 2018 flächendec­kend ein schnelles Internet mit mindestens 50 Megabit pro Sekunde zu verwirklic­hen. Aber das sei bestenfall­s „ein Etappenzie­l“, meinte Sanktjohan­ser. Denn der Standard werde schon bald bei 100 Megabit liegen. Kleinund Mittelstäd­te sowie der ländliche Raum lägen beim Breitbanda­usbau deutlich zurück und müssten deshalb Vorrang haben.

Auch für die Beschäftig­ten ist die Arbeitswel­t der Zukunft ein MegaThema. Aber unter ganz anderen Aspekten. Nach einer ebenfalls gestern vorgestell­ten Umfrage der IG Metall unter rund 680 000 Arbeitnehm­ern gehört für die übergroße Mehrheit zur „Industrie 4.0“zwingend auch ein „Sozialstaa­t 4.0“. 93 Prozent der Befragten sorgen sich um ihren Job und fragen sich, welchen Platz sie in der neuen Arbeitswel­t einnehmen werden. Ihre Forderung an die Politik lautet daher, sich für Sicherheit und berufliche Perspektiv­en starkzumac­hen. 83 Prozent sagen, dass der Erhalt der Qualifikat­ion Vorrang vor der Vermittlun­g in einen minderen Job haben müsse und deshalb auch das Arbeitslos­engeld verlängert gehört – ganz so, wie es sich die SPD für den Wahlkampf auf die Fahne geschriebe­n hat. Rund 96 Prozent der Beschäftig­ten sprechen sich trotz der digitalen Revolution für die Beibehaltu­ng der geltenden Arbeitszei­tregelunge­n aus. Das sei „eine klare Ansage an die Politik“, meinte IG-MetallChef Jörg Hofmann.

Spätestens hier tickt die Wirtschaft ganz anders. Im Forderungs­katalog des Mittelstan­des werden Bestrebung­en der Bundesregi­erung für neue Öffnungskl­auseln beim Arbeitszei­trecht begrüßt. Verlangt wird dabei ausdrückli­ch mehr Tempo. Auch die Arbeitgebe­rverbände BDA und Gesamtmeta­ll drängen schon länger darauf, Höchstgren­zen und feste Ruhezeiten im Arbeitszei­tgesetz zu lockern.

Bleibt noch das Problem der Fachkräfte­sicherung. „Unsere Betriebe haben die Auftragsbü­cher voll, können sie aber nicht abarbeiten“, klagte ZDH-Präsident Wollseifer. Die Politik tue der Jugend nichts Gutes, wenn diese nur einseitig in Richtung Abitur und Studium gelenkt werde. Die Verbände des Mittelstan­ds pochen auf eine verpflicht­ende Berufsorie­ntierung auch in den Gymnasien.

Darüber hinaus, so Wollseifer, müssten Beschäftig­ungsreserv­en auch durch eine bessere Vereinbark­eit von Familie und Beruf erschlosse­n werden. Immerhin 92 Prozent der Beschäftig­ten denken hier übrigens nach Angaben der IG Metall genauso.

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FOTO: DPA Feste Arbeitszei­ten – aufgezeich­net nach Stechuhr – sollen nach Auffassung von Wirtschaft­sverbänden weiter aufgeweich­t werden.

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