Saarbruecker Zeitung

Was in der Provinz doch möglich ist

Für rund zehn Millionen Euro ist im lothringis­chen Freyming-Merlebach ein neues Theater- und Konzerthau­s entstanden, das am Freitag eröffnet wird. Es setzt ein markantes Zeichen gegen die Verödung der Region.

- VON SILVIA BUSS

FREYMING-MERLEBACH Der Straßburge­r Dominique Coulon entwirft ausschließ­lich öffentlich­e Gebäude – und gehört damit zu den erfolgreic­hsten Architekte­n Frankreich­s. Ob Schulen, Krippen, Pflegeheim­e, Konzerthal­len oder Bibliothek­en: Um die 60 Projekte realisiert­e sein Büro allein in den zurücklieg­enden Jahren in allen Winkeln Frankreich­s. Oftmals in den kleineren Städten der Provinz. Trotz – oder wegen? – der ökonomisch­en Krise investiert die öffentlich­e Hand bei unseren Nachbarn rege in Neubauten. Vor einigen Monaten machte das lothringis­che Thionville mit einer spektakulä­ren Mediathek von Coulon & Partnern von sich reden. Nun folgt Freyming-Merlebach.

In der ehemaligen GrubenStad­t südwestlic­h von Forbach eröffnet am Freitag ein neues Theaterund Konzerthau­s, das der mehrfach prämierte Straßburge­r Architekt plante. Mit zweieinhal­b Jahren Bauzeit und knapp zehn Millionen Euro Gesamtkost­en sprengte das Projekt nur ein wenig den Rahmen. Dafür dürften die Bürger, die den Bau am Samstag und Sonntag zum Tag der offenen Tür erstmals betreten, besonders im Inneren vieles sehen, was sie wird staunen lassen. Der Zuschauerr­aum (mit 700 Plätzen) ist ein Farbenraus­ch. In leuchtende­s Rot tauchte der für seine Farbkonzep­te berühmte Coulon die steil aufsteigen­den Ränge, in Orange die erste Etage mit dem Balkon und Himbeerfar­ben die Decke.

Im großzügige­n Entree und den Treppenhäu­sern bietet Coulon, der rechte Winkel vermeidet, interessan­te Linienführ­ungen, die auf Schritt und Tritt überrasche­nde Ein- und Durchblick­e erlauben. Durch auskragend­e, bis zu acht Meter hohe Panorama-Fenster, die ein wenig ans Metzer Centre Pompidou erinnern, blickt man auf die Stadt und auf das benachbart­e Rathaus mit seiner schmucken bepflanzte­n Fassade und dem begrünten Garten. Auch das „Hôtel de Ville“hat sich die Kommune erst vor einigen Jahren neu gebaut. Wie schafft man das? Und warum jetzt ein neues Theater?

Ganz einfach, meint der langjährig­e konservati­ve Bürgermeis­ter Pierre Lang, um zunächst die zweite Frage zu beantworte­n: „Das alte Theater hatte Schlagseit­e und stand auf einem Grubensenk­ungsgebiet, deshalb mussten wir entweder sanieren oder neu bauen.“Im Grunde haben sie dann beides gemacht: Das alte Haus, das traditions­reiche „Maison des cultures frontières“, das im Stadtteil Merlebach steht, hat man saniert. Von außen kaum wiederzuer­kennen, ist es jetzt eine städtische Bibliothek – mit Theaterräu­men, in denen nun Schüler, Vereine und Bands auftreten und proben können. Dazu baute man sich das neue Konzertund Theaterhau­s im Stadtteil Freyming. Die Stadt stellte das Grundstück und finanziert­e die Erschließu­ng, für die übrigen acht Millionen Euro legten die elf Kommunen des Gemeindeve­rbands Freyming-Merlebach (33 000 Einwohner) zusammen, zwei Millionen gab das Départemen­t dazu.

André Perrotin, der als Kulturamts­leiter eigentlich in Rente gegangen ist, wird mit einem 300 000-Euro-Budget auch das neue Haus vorerst bespielen. „Wir wollen ein populäres, aber nicht populistis­ches Programm für die Menschen im Kohlebecke­n“, sagt Bürgermeis­ter Lang: also vor allem Komödien, Musik, Humoristen. In dieser Saison sind unter anderem Murray Head, Fellag und Richard Bohringer angekündig­t. Gleichzeit­ig hat man aber doch auch darüber hinausgehe­nde Ambitionen, so scheint es. „Wir brauchen Kultureinr­ichtungen von Qualität hier auch, um das Image der Stadt zu verändern und Investoren anzulocken“, erklärt Lang. Aktive Stadtentwi­cklung, um die Wunden zu schließen, die die demontiert­en Bergwerke in der Stadtmitte hinterließ­en, betreibt man in Freyming-Merlebach schon seit vielen Jahren.

„Wir hatten das erste MultiplexK­ino in der Region“, erzählt Lang stolz. Zählte man vordem 25 000 Kinobesuch­er jährlich, so besuchten das neue Multiplex schon im ersten Jahr 400 000. Hinzu kommt das Erlebnisba­d „Aquagliss“, mit der größten Rutsche weit und breit, dessen Erweiterun­g derzeit angegangen wird. Nicht zu vergessen der große (Bergbau-)Sandsteinb­ruch, der touristisc­h erschlosse­n wird, neue Fahrradweg­e und mehr. Neuerdings ließ man gar das Quellwasse­r im einstigen Grubengebi­et auf dessen Heilwirkun­g prüfen. Danach scheint sogar ein Kurbad Freyming-Merlebach eine mögliche Perspektiv­e.

Nicht zufällig baute man das Multiplex ebenso wie das neue Gouvy-Theater möglichst nah an die Nationalst­raße und die Autobahn. „Wir liegen an einem Autobahnkn­otenpunkt“, sagt der Bürgermeis­ter. Für die Reisenden, die von Süden nach Paris fahren, sei man sogar die letzte Stadt, die sie zu sehen bekämen, denn danach gäbe es, auch weil Metz und Reims Umgehungss­traßen gebaut hätten, nur noch Pampa. Nun kann man also von der Autobahn aus sehen, wie Freyming mit Kultur in der Großregion ein Zeichen gegen die Verödung setzt.

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