Hohe Tannen, Kartoffelsalat und ein Trauma
KOLUMNE NOSTALGISCH Früher war vermeintlich alles besser. Oder doch nicht? Beim Rückblick auf die 70er, 80er und 90er werden SZ-Redakteure „nostalgisch“. Heute geht es um SchwarzwaldUrlaube und die durchaus positiven Seiten des Waldsterbens.
Nichts gegen den Schwarzwald. Aber ich hasse ihn. Denn alle Urlaube meiner frühen Kindheit führten dorthin. Wie überhaupt, scheint mir, alle meine Freunde damals in den 70ern mit ihren Familien im Schwarzwald Urlaub machen mussten. Bereits die Anreise war eine Tortur. Obwohl jeder Ort im Schwarzwald leicht in vier Stunden zu erreichen war, brach man bereits vor Morgengrauen auf. Es galt ja das offenbar höchst unsichere Frankreich zu durchfahren. Dort werde „immer gestreikt“, behauptete mein Vater. Und meine Mutter richtete so viel Kartoffelsalat, dass wir auch drei Wochen Einkesselung durch streikende Gallier durchgestanden hätten. Da aber, zumindest wenn wir das Elsass durchfuhren, in Frankreich nie gestreikt wurde, „man Essen aber nicht wegwirft“, mussten dann drei Schüsseln Kartoffelsalat auf der Fahrt vertilgt werden. Weshalb ich heute noch beim Anblick von Tannen Völlegefühle habe.
Andererseits brauchten wir Proviant. Unser Fiat 124 nämlich war sicher ein „besonders hochtouriger Wagen“, wie mein Vater unsere Ford- und Opel-fahrende Nachbarschaft gern belehrte. Höhen mochte dieser Italiener allerdings nicht.
Kaum nahte eine Steigung, kochte der Turiner Hitzkopf. Also: rechts ran. Motorhaube auf. Ausdampfen. Nach einer Viertelstunde Zwangspause ging’s weiter. Bis zur nächsten Steigung. Und im Schwarzwald gibt es sehr viele davon. Am Ferienort selbst wurde das Programm von zwei Grundinteressen diktiert. Meine Mutter schwärmte für Bollenhüte – wohl die Folge von zu vielen Sonja-Ziemann-Filmen. Mein Vater hingegen für Kuckucksuhren.
So fuhren wir an einem Tag ins Volkskundemuseum, anderntags ins Kuckucksuhrmuseum. Höhepunkt des Urlaubs war stets ein Ausflug zum Titisee. An dessen Ufern Geschäfte vor allem eines feilboten: Kuckucksuhren. Auch der Kontakt zu den SchwarzwaldKindern war eher dürftig. Wohl ob des Daseins in den abgeschiedenen Tälern, artikulierten sie sich nur in einem seltsam gutturalen Dialekt. Und ihre Aktivitäten waren überschaubar. Die Mädchen waren im Trachtenverein, wo sie das Bollenhut-Machen lernten. Und die Jungs ließen sich von ihren Opas in die Kunst des Kuckucksuhrenbaus einführen. Ich gebe zu, als der „Spiegel“1984 den Titel brachte, „Der Schwarzwald stirbt“, habe ich das mit Genugtuung gelesen.