Frontex: Schlepper werden immer brutaler
Jährlich sterben tausende Menschen auf der Flucht übers Mittelmeer. Doch skrupellose Schlepper greifen zu immer härteren Methoden.
Die Schlepper im Mittelmeer greifen zu immer härteren Methoden – und pferchen immer mehr Menschen in die einzelnen Boote. Das beobachten EU-Grenzwächter von Frontex.
BRÜSSEL Sie sind verschwunden – viele von ihnen wohl für immer. Allein in diesem Jahr werden bereits mehr als 1000 Menschen im Mittelmeer vermisst. Sie setzen sich trotz Gefahr in wacklige Boote – in der Hoffnung auf ein besseres Leben. 2016 erreichte das Elend einen traurigen Rekord: Fast 5100 Menschen starben oder gelten als vermisst. 90 Prozent von ihnen hatten Italien zum Ziel. Insgesamt landeten dort vergangenes Jahr mehr als 181 000 Hilfesuchende, wiederum 90 Prozent waren von der libyschen Küste aus Richtung Europa gestartet, wie Statistiken des Flüchtlingshilfswerks UNHCR belegen.
Die Zahl der in Griechenland strandenden Flüchtlinge ist nach der Schließung der Balkanroute Anfang 2016 und dem Abkommen der EU mit der Türkei im März vergangenen Jahres zwar drastisch gesunken. Gleichzeitig wurde die Überfahrt übers Mittelmeer zur neuen Hauptroute der Verzweifelten. 2015, als mehr Menschen als je zuvor Zuflucht in der EU suchten, machten die Schmuggler ein riesiges Geschäft. Die EU-Polizeibehörde Europol geht davon aus, dass diese zwischen vier und sechs Milliarden Euro verdienten.
Gleichzeitig greifen die Schlepper laut EU-Grenz- und Küstenwache Frontex zu immer härteren Methoden, um lukrativ zu bleiben. Die Behörde spricht von einem „besorgniserregenden Phänomen“. Während die Schleuserbanden noch vor drei Jahren etwa 90 Personen in etwa zehn Meter lange Schlauchboote pferchten, seien es seit dem vergangenen Jahr bis zu 170 Menschen auf Dinghis derselben Größe. Noch 2011 fuhren die Boote bis zu den Küsten der italienischen Insel Lampedusa, seit 2016 gerade einmal bis hinter die Grenze des libyschen Hoheitsgebiets. Die Schleuser kostet das weniger Benzin für die Motoren, häufig würden diese laut Frontex sogar abgenommen, sobald ein rettendes Schiff in der Nähe entdeckt wird, um sie wiederverwenden zu können.
Frontex wird nicht müde, die die Flucht begünstigenden Faktoren aufzuzählen: Natürlich vertreiben Krieg, Armut und Hunger Menschen aus ihrer Heimat. Doch dass viele einen Weg in die EU suchten, liege vor allem „an der Leichtigkeit, mit der sie Europa erreichen können“, sagte ein Sprecher der Behörde. Die „Dienste der Schmuggler“und die „Erfolgsrate“seien weitere Gründe dafür.
Während das Abkommen mit der Türkei Erfolg zu bringen scheint und täglich nur noch ein paar Dutzend Flüchtlinge auf den griechischen Inseln stranden, ist ein solches Modell mit der wackligen Einheitsregierung Libyens derzeit undenkbar. Zwar bemüht sich die EU, das Land bei der Ausbildung von Grenzschützern und der Stärkung der Küstenwache zu unterstützen. Das Urteil von Frontex ist vernichtend: „Schmuggler können völlig frei und mit absoluter Straffreiheit agieren, ohne zu riskieren, von Vollzugsbehörden gestört zu werden.“Gleichzeitig versuchen laut UNHCR in den vergangenen Monaten mehr Menschen, über das Mittelmeer nach Spanien zu gelangen, oder die andere Seite des Zauns der schwer bewachten Exklaven auf afrikanischem Boden, Melilla und Ceuta, zu erreichen.
Um die Flüchtlingskrise zu lösen reichen „Rettungen“alleine nicht aus, sagt Frontex. Eine globale Lösung sei gefragt – eine, die die Herkunftsländer stabilisiert und die Kooperation mit den Transitländern stärkt. Doch das ist leichter gesagt als getan. Allein in Libyen warten nach Schätzungen internationaler Organisationen bis zu einer Million Menschen auf ihr Ticket in die EU.