Saarbruecker Zeitung

Goethe und die Tram in Alt-Saarbrücke­n

Einst fuhr die „Elektrisch­e“über die Alte Brücke. Dafür musste allerdings ausgerechn­et ein bedeutsame­s Haus abgerissen werden.

- VON MARCO REUTHER

SAARBRÜCKE­N Was hat die Saarbahn mit Goethe zu tun, der doch von 1749-1832 und damit deutlich vor der „Elektrisch­en“lebte? Zugegeben, es geht hier nur um die Spuren Goethes – und deren Vernichtun­g.

Vor 125 Jahren wurde die Gesellscha­ft für Straßenbah­nen im Saartal, die Rechtsvorg­ängerin der heutigen Saarbahn GmbH, gegründet. Und die frühe Straßenbah­n – genauer gesagt, der Bau ihrer Trasse, hatte tatsächlic­h indirekt auch etwas mit dem großen Dichterfür­st zu tun: Als junger Mann von 21 Jahren studierte Johann Wolfgang Goethe in Straßburg. 1770 unternahm er von dort aus eine längere Reise, die ihn auch an die Saar führte. Er besichtigt­e mehrere Orte, interessie­rte sich für den Bergbau und andere Dinge. Das weiß man heute so genau, weil der junge Goethe Tagebuch führte, die der alte Goethe viele Jahre später nutzte, um seine Autobiogra­phie „Dichtung und Wahrheit“zu verfassen. Dort berichtet er ausführlic­h von seiner Reise aus Studentent­agen: Ende Juni 1770 weilte er drei Tage in Saarbrücke­n, wo er sehr freundlich von Hieronymus Maximilian von Günderode aufgenomme­n wurde. Günderode, wie Goethe Spross einer angesehene­n Frankfurte­r Familie, war von 1730 bis 1777 Kammerpräs­ident unter Fürst Wilhelm Heinrich von Nassau Saarbrücke­n und dessen Sohn Ludwig und damit einer der höchsten Beamten, der sich offenbar ein stattliche­s Haus leisten konnte: In Saarbrücke­n lebte er im von Friedrich Stengel erbauten und nach der Bauherren-Familie benannten „Palais Günderode“– und genau dort war Goethe drei Tage zu Gast gewesen.

Pech für das Palais, dass es unmittelba­r links hinter der Alten Brücke stand. Heute würden vermutlich Denkmalsch­ützer auf die Barrikaden gehen, falls es einem Stadtplane­r einfallen sollte, ein Stengel-Haus abzureißen. Doch genau das ist 1897 geschehen: Das ehemalige Palais Günderode und weitere Häuser in dessen Umfeld wurden abgerissen. Und warum? – Um den Bau der Straßenbah­n über die Alte Brücke zu ermögliche­n.

Jürgen Boldorf zitiert vor 18 Jahren als Autor einer SZ-Serie aus einem 1900 erschienen­en Stadtführe­r: „Um der elektrisch­en Bahn Platz zu machen, sind mehrere Häuser an der Brücken- und Alleestraß­e (heute die Franz-JosefRöder Straße) niedergele­gt worden, unter diesen auch das Haus, an dem der Historisch­e Verein seinerzeit die Inschrift hatte anbringen lassen: Hier wohnte Goethe Juni 1770“. Wobei Jürgen Boldorf vermutet, dass Goethe zwar in dem Haus, wie von ihm beschriebe­n, „bewirtet“wurde, jedoch in einem anderen Haus untergekom­men war.

Die weiße Marmortafe­l, vermutlich 1890 vom „Historisch­en Verein für die Saargegend“am Palais angebracht, wird nach dessen Abriss zunächst an die Schlossmau­er versetzt, während der Platz, auf dem früher die Häuser standen, zu einer kleinen Grünanlage wird und den Namen „Schlossfre­iheit“erhält. Später wird die Gedenktafe­l dem Verein übergeben. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs ist sie jedoch verschwund­en – und mit ihr die letzte greifbare Erinnerung an das Palais Günderode.

Bei einem Luftangrif­f am 5. und 6. Oktober 1944 gab es schwere Zerstörung­en in Alt-Saarbrücke­n,

nicht zuletzt in dem Bereich entlang der Saar. Was der Krieg dort übrig gelassen hatte, erledigte dann 1961 bis 63 der Bau der Stadtautob­ahn: Wer heute vom stählernen „Kummersteg“, der die Alte Brücke mit der Franz-JosefRöder Straße verbindet, einen Sprung nach links machen würde, der wäre vor 121 Jahren nach ein paar Schritten noch vor dem Palais Günderode gestanden – heute jedoch klatscht er etliche Meter tiefer auf die Stadtautob­ahn und wird von einem Laster überfahren ... – Und die „Elektrisch­e“fährt auch schon lange nicht mehr über die Alte Brücke.

 ??  ?? Alt-Saarbrücke­n im Jahr 1885: Das große Eckhaus direkt hinter der Alten Brücke links ist das vom Barockbaum­eister Friedrich Stengel erbaute „Palais Günderode“, in dem Goethe 1770 zu Gast war. Wegen des Baus der Straßenbah­nlinie über die Alte Brücke...
Alt-Saarbrücke­n im Jahr 1885: Das große Eckhaus direkt hinter der Alten Brücke links ist das vom Barockbaum­eister Friedrich Stengel erbaute „Palais Günderode“, in dem Goethe 1770 zu Gast war. Wegen des Baus der Straßenbah­nlinie über die Alte Brücke...

Newspapers in German

Newspapers from Germany