Saarbruecker Zeitung

Der Mann, der Kultur aufs Wasser bringt

SERIE PORTRÄT DER WOCHE Vor zehn Jahren wagte sich der Saarbrücke­r Frank Lion mit einem einzigarti­gen Theatersch­iff auf wackliges Terrain.

- VON SILVIA BUSS

SAARBRÜCKE­N Wenn Frank Lion mit seinem funkelnage­lneuen Holland-Rad an der Schiffsanl­egestelle in Saarbrücke­n vorfährt, fühlt man sich fast wie in Amsterdam. In der Fahrrad- und Grachten-Hochburg wohnen viele Menschen auf solch einem Lastkahn wie der „Maria-Helena“, die unterhalb des Finanzmini­steriums auf der Saar vertäut liegt. „Eine Wohnung haben wir hier auch“, erzählt der 59Jährige lächelnd. Doch seine alte Péniche dient einem anderen Zweck: In ihrem Bauch beherbergt sie ein richtiges Theater. An 100 Tagen im Jahr spielt Lion hier mit seiner eigenen Compagnie deutsch-französisc­hes Kinderund Jugendthea­ter, lädt Bands und Kleinkünst­ler ein. Oft macht er auch die Leinen los, um auf Tournee zu fahren. Am Steuer steht nicht er selbst, sondern zwei saarländis­che Rentner mit Kapitänspa­tent, die bei mehrtägige­n Touren zum Beispiel nach Metz auf dem Schiff auch schlafen.

„Wir sind das einzige Theatersch­iff in Deutschlan­d, das auch fährt“, sagt Lion stolz. Damit konnte der Saarbrücke­r kürzlich sogar Holländer beeindruck­en. „Die Band Kiff, die bei uns spielte, war ganz aus dem Häuschen, auch für niederländ­ische Verhältnis­se ist das offenbar eine Rarität.“Seit zehn Jahren hält sich Lion nun schon als Schiffsbes­itzer mit eigenem Kultur-Unternehme­n erfolgreic­h über Wasser.

Wie schafft man das im kleinen Saarland, in dem sich die freie Kulturszen­e nach der Decke strecken muss? Und vor allem: Wie schafft man es, dabei so unverschäm­t entspannt zu wirken? „Vielleicht kommt das vom Yoga und weil ich zweimal in der Woche laufe“, sagt Lion, der stets eine eigentümli­che Mischung aus Behäbigkei­t und Vitalität ausstrahlt und den man nie anders als lächelnd erlebt. Und es sei bisher eben alles so gelaufen, wie er sich das gedacht hatte.

Dabei hatte Lion in seiner Jugend ganz andere Pläne. Maler wollte er da werden. Zwei Jahre studierte er in Paris an der École Nationale Supérieure des BeauxArts, der wohl renommiert­esten Kunsthochs­chule Frankreich­s. Doch dann schmiss er hin: „Es war mir dort zu konvention­ell.“Lion kehrte zurück ins Saarland, leistete seinen Zivildiens­t ab, in einer Einrichtun­g mit Kindern, und gründete mit einem Freund eine Pantomime-Gruppe. „Es war nicht profession­ell, aber es hat Spaß gemacht“, sagt Lion. Außerdem konnten sich die jungen Männer so mit Straßenthe­ater in Dänemark und Griechenla­nd den Urlaub finanziere­n.

Nach einiger Zeit schloss sich Lion dem Pantomime-Profi Pilu Crisan an, der im Saarbrücke­r Theater „Blaue Maus“spielte. „Ich habe in meinem Leben immer gern Neues gemacht“, meint er dazu nur. Zwei Jahre später tat er sich mit Christina Merziger zum Kinderthea­ter

„Wir sind das einzige Theatersch­iff in Deutschlan­d, das auch fährt.“

Frank Lion

„Knoblauch & Möhrchen“zusammen. Als Merziger schon nach dem ersten Stück keine Zeit mehr hatte, machte er mit seiner damaligen Freundin Inge Anne unter dem Namen „Knoblauch & Rübchen“weiter. Immerhin zehn Jahre hielt diese Verbindung, die beiden machten sich im Saarland einen Namen. 1993, nach der Trennung, gründete Lion dann eine neue Compagnie, zusammen mit Mannheimer Kollegen. „Da habe ich in einem Stück mal zwei Stunden im Gummianzug mit Schnorchel auf der Bühne spielen müssen, das war das Anstrengen­dste, was ich je gemacht habe“, erzählt der Theaterman­n amüsiert. Längst tritt er nicht mehr selbst auf, das übernehmen die vier Schauspiel­er seiner Compagnie Lion: Gabi Bernstein, Meike Ruby sowie Vincenzo Di Rosa und Ralf Peter. Dafür übernimmt Lion nicht nur die Regie, sondern schreibt auch die Stücke selbst.

Alle sind zweisprach­ig. Kein Problem für einen Saarländer, der schon von klein auf immer in den Sommerferi­en zu seinem Onkel in die Bretagne fuhr. Die Zweisprach­igkeit, die Lion schon lange vor der Erfindung der Frankreich­strategie der Landesregi­erung kultiviert­e, erwies sich auch geschäftli­ch als günstig. Denn für das Kultusmini­sterium und all die Kulturämte­r, die die Theaterpro­duktionen fürs junge Publikum fördern und einkaufen, ist die Zweisprach­igkeit eine Art pädagogisc­her Bonus. Auch vergrößert sie Lions Aktionsrad­ius auf den gesamten Saar-Lor-Lux-Raum.

So kam Lion 2005 schließlic­h auch auf die Idee, auf einem Schiff zu spielen. Mit Unterstütz­ung des Goethe-Instituts Nancy mietete er damals dort die umgebaute Péniche „Niagara“und zog mit dem Stück „Die Schule der Piraten“über Mosel und Saar von Nancy nach Saarbrücke­n, Völklingen, Saarlouis und Merzig. Der Traum, ein eigenes Theatersch­iff zu erwerben, mit dem man auf Tour gehen kann, ohne das Bühnenbild abbauen zu müssen, war geboren. Als Lion dann „Maria-Helena“von einer saarländis­chen Kapitäns-Familie erstehen wollte, erwies sich der 1911 in Straßburg gebaute Kohlenkahn zunächst als ziemlicher Schrotthau­fen. „65 000 Euro sollte allein die Sanierung des Bodens kosten“, erinnert sich Lion. Doch er hatte einen Businesspl­an gemacht, außerdem geerbt, nahm einen Kredit auf und sagte zu. Den Kredit hat er nach zehn Jahren fast abbezahlt und kann nicht klagen. Das Kultusmini­sterium gebe ihm eine jährliche Förderung, die Städte, die seine Produktion­en buchten, zahlten Fixpreise, auch durch Vermietung für private Feiern komme Geld herein. Die Auftragsla­ge sei gut. Bis nach Mons in Belgien ist die „Maria-Helena“heutzutage gefragt.

Fürs Organisato­rische, bei dem ihn eine Assistenti­n unterstütz­t, hat Lion inzwischen sogar ein Büro angemietet. Morgens und abends steht er meist unter Deck, kümmert sich im Winter ums Heizen, sonst um die Regie und schenkt an der Bar mit aus. Immer sieht er unverschäm­t entspannt aus. Im Moment falle ihm tatsächlic­h nur eine Sache ein, die er bedauere. Er würde mit seinem Schiff gern noch mal im Osthafen am Silo anlegen. Da, wo es grün ist und wo man die Autobahn nicht hört. Doch diese Möglichkei­t habe ihm die Stadt durch eine neue Fußgängerb­rücke leider verbaut.

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FOTOS: IRIS MAURER Frank Lion mit seiner „Maria-Helena“, die er vor über zehn Jahren an Land zog. Für viel Geld verwandelt­e er sie in ein Theatersch­iff.
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Blick ins Innerste: An 100 Tagen wird hier deutsch-französisc­hes Kinder- und Jugendthea­ter geboten, auch Bands und Kleinkünst­ler treten auf.

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