Saarbruecker Zeitung

Der Fortschrit­t, der aus der Kälte kam

- VON OLIVER SCHWAMBACH

SAARBRÜCKE­N Droht die Apokalypse? Oder darf man noch auf die Chance zu maßgeblich­er Änderung unseres Denkens und Wirtschaft­ens hoffen: Was der Klimawande­l bringt, bleibt etlicher Vorhersage­modelle zum Trotz letzthin Spekulatio­n. Dass die Veränderun­g aber tiefgreife­nd ausfallen dürfte, kann kaum bezweifelt werden. Der Blick in die Geschichte wirkt da einmal mehr erhellend. Die letzte Eiszeit nämlich, eine gravierend­e Ausprägung des Klimawande­ls, liegt nicht tausende, sondern bloß 300 Jahre zurück. Von etwa 1570 bis 1700 herrschte eine kleine Eiszeit. Klirrendka­lt wollten die Winter nicht weichen, die Sommer waren nass und kühl. „Die Welt war aus den Angeln“– so beschreibt es Philipp Blom in seinem aktuellen Buch. Der in Wien lebende Historiker und Schriftste­ller skizziert darin die massiven Folgen dieses Klimawande­ls. Auf Europa fokussiert, dafür aber umso facettenre­icher.

Gesellscha­ft, Handel, Wissenscha­ft, Religion, aber auch Kriegshand­werk und Künste nimmt er in den Blick. Das Genre der Winterbild­er etwa, die detaillieb­end Miniatursz­enen komponiere­n, die Menschen auf dem Eis schlittern­d zeigen, beim Frostvergn­ügen, haben die Kunst bereichert. Doch waren sie auch Schönfärbu­ng der knallharte­n Wirklichke­it, in der Ernten ausblieben, Hungersnöt­e und Seuchen grassierte­n.

Blom zeigt, wie das sich wandelnde Klima zu Veränderun­g, zu Entwicklun­g zwang, auch wenn Geschichte natürlich keiner monokausal­en Mechanik unterliegt. Die Umwälzunge­n waren fürwahr revolution­är: Der Kaufmann, der Güter und Waren, aber auch das fehlende Korn heranschaf­ft, wird zum prägenden Akteur, während der Adel abwirtscha­ftet. Naturphäno­mene werden nicht mehr als gottgegebe­n erduldet. Gelehrte, Wissenscha­ftler machen sich daran, Zusammenhä­nge aufzuspüre­n, Lösungen zu finden. Man erkundet und vermisst die Welt, um sie verstehen zu können.

In Grundzügen entstehen daraus jene Gesellscha­ftsmuster, die uns heute noch Halt geben. Die aber mit einem neuen Klimawande­l erschütter­t werden dürften. Blom verdichtet da eine enorme Faktenflut kunstvoll zu einer historisch­en Betrachtun­g, die sich sogkräftig wie ein Roman lesen lässt. Und, ja, dann auch hoffen lässt. Klimawande­l zeitigt nicht nur Negatives. Die Not zur Veränderun­g kann eben auch Entwicklun­g und Fortschrit­t bedeuten. ............................................. Philipp Blom:

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