Saarbruecker Zeitung

Das Geheimnis der weißen Hirsche

Weiße Hirsche sind selten, daher machen selbst Jäger vor ihnen Halt. In Hessen wollen Forscher nun ihr Geheimnis lüften.

- VON GÖRAN GEHLEN Zoologin im Tierpark Sababurg

Sie sind selten und mit einem Aberglaube­n behaftet: weiße Hirsche. Wer sie tötet, stirbt kurz darauf, heißt es unter Jägern. In Hessen leben rund 40 Exemplare. Forscher gehen dort nun dem Geheimnis ihrer Farbe nach.

KASSEL (dpa) Wer einen weißen Hirsch tötet, stirbt innerhalb eines Jahres: Dieser Mythos unter Jägern rankt sich um die außergewöh­nlichen Tiere, die es im nordhessis­chen Reinhardsw­ald in vergleichs­weise großer Zahl gibt. Der Aberglaube wirkt offenbar: Laut dem zuständige­n Landkreis Kassel ist seit Jahren kein weißer Hirsch mehr geschossen worden.

Weiße Hirsche sind laut dem Deutschen Jagdverban­d selten: Vor einigen Jahren sorgte die Flucht von „Hansi dem Albinohirs­ch“aus einem Gehege in Rheinland-Pfalz für Aufsehen. Die Hirsche in Hessens Nordspitze sind keine Albinos: Ihre Farbe rührt nicht von einer Pigmentstö­rung her. Sie sind wohl eine genetische Laune der Natur.

Licht ins Helle soll eine von der hessischen Landesregi­erung geförderte Studie der Justus-Liebig-Universitä­t in Gießen bringen. Beim Vergleich weißer und brauner Tiere im Reinhardsw­ald solle mit Analysever­fahren aufgeklärt werden, „ob es sich beim weißen und braunen Rotwild um getrennte Population­en oder um Vertreter einer einzigen Population handelt“, erklären die Wissenscha­ftler. Unterstütz­t wird das Projekt vom Tierpark Sababurg im Reinhardsw­ald: Er liefert Material in Form von Geweihstan­gen. Bohrproben aus den Geweihen erlauben Rückschlüs­se auf das Erbgut. Der Tierpark besitzt ebenfalls weiße Hirsche. Ob die identisch mit den Artgenosse­n in den umliegende­n Wäldern sind, ist aber unklar. Es gebe zwar das Gerücht, dass es sich um entlaufene Hirsche aus dem Tierpark handele: „Wir vermissen aber keine Tiere“, erklärt Zoologin Sandy Rödde.

Laut den Gießener Forschern ist die Verbreitun­g des weißen Rotwilds im Reinhardsw­ald auf den hessischen Landgrafen Wilhelm IV. zurückzufü­hren. Der habe Ende des 16. Jahrhunder­ts die Hirsche dort in einem Tierpark gehalten, dann wurden einige Exemplare „aufgrund der Wirren des Dreißigjäh­rigen Krieges freigesetz­t“. Zur Größe des heutigen Bestands gibt es unterschie­dliche Angaben, Hessen Forst geht von bis zu 40 Stück aus.

Für Jäger seien die weißen Tiere etwas Besonderes, sagt Rödde, die selbst jagt: „99 Prozent der Jäger genießen es, wenn ein solcher weißer Hirsch vorbeiläuf­t.“Es sei ein toller Anblick, wenn auf eine Lichtung mit braunem Wild plötzlich ein weißer Hirsch trete. Bei älteren Jägern sei der Mythos noch in den Köpfen, dass die Tötung weißer Tiere Unglück bringt.

Der Abschuss von Wild diene dem Schutz des Waldes, erklärt Harald Kühlborn, Sprecher des Landkreise­s Kassel. Zu viele Tiere schaden dem Wald. Die Jagdbehörd­e des Kreises legt deshalb die Zahl der erlaubten Abschüsse fest.

Sandy Rödde

„99 Prozent der Jäger genießen es, wenn ein solcher weißer Hirsch

vorbeiläuf­t.“

Bei den weißen Hirschen seien sich Behörden, Naturschüt­zer, Landwirte und Jäger einig gewesen: Sie werden nicht geschossen, weil sie besonders sind. Der Landesbetr­ieb Hessen Forst sah das anders, denn abgesehen von der Farbe seien weiße Hirsche wie braune. Drei Stück wollte Hessen Forst jagen lassen – und fand dafür keine Zustimmung. Wenn also ein weißer Hirsch plötzlich aus dem Gebüsch tritt, bedeutet das auch künftig für die Jäger: genießen, nicht schießen.

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FOTOS: PFÖRTNER/DPA Wer sie tötet, stirbt kurz darauf: Dieser Aberglaube scheint sie zu retten, die wild lebenden weißen Rothirsche im nordhessis­chen Reinhardsw­ald. Unser Foto zeigt ihre Artgenosse­n im Tierpark Sababurg.

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