Saarbruecker Zeitung

Wer aufbegehrt, spürt den Zorn des Königs

ANALYSE Tausende gehen in Marokko auf die Straße, gegen Korruption und Willkür. Menschenre­chtler sehen die Entwicklun­g im Land mit großer Sorge.

- VON RALPH SCHULZE

RABAT Sie forderten Sozialprog­ramme, um die hohe Arbeitslos­igkeit und die grassieren­de Armut zu lindern. Doch die Menschen, die dieser Tage zu Tausenden in mehreren marokkanis­chen Städten demonstrie­ren, wollen noch mehr: Sie fordern echte Demokratie, weniger Willkür und die Achtung der Menschenre­chte. Die Proteste begannen in der nordmarokk­anischen Stadt Al-Hoceima, wo die Menschen seit Tagen auf die Straße gehen und Parolen skandieren wie „Der Staat ist korrupt“. Inzwischen sind die Demonstrat­ionen auf etliche andere Städte übergespru­ngen. Marokkanis­che Medien berichten über große Kundgebung­en in der Hauptstadt Rabat, in der Wirtschaft­smetropole Casablanca und in der Hafenstadt Tanger.

Demonstrat­ionen sind in Marokko eher selten, weil die Ausübung von Bürgerrech­ten wie Meinungs- und Versammlun­gsfreiheit zu Problemen mit Polizei und Justiz führen. Auch im Zuge der jüngsten Demonstrat­ionen sollen nach Angaben der Behörden 20 Menschen festgenomm­en worden sein. Inoffiziel­len Quellen zufolge liegt die Zahl der Festgenomm­en aber sehr viel höher. Ein Anwalt berichtete, dass alleine in der Stadt Al-Hoceima 70 Demonstran­ten eingesperr­t wurden.

Unter den Festgenomm­enen befindet sich der populäre Anführer der Protestbew­egung, Nasser Zefzafi. Der 39-Jährige hatte sich tagelang vor der Polizei versteckt. Die Festnahme erfolgte offenbar, nachdem die Polizei das Wohnvierte­l des Aktivisten in Al-Hoceima belagert und durchsucht hatte. Dabei kam es zu gewaltsame­n Auseinande­rsetzungen mit Demonstran­ten, die versucht hatten, Zefzani zu schützen.

Al-Hoceima ist schon seit Monaten ein Unruheherd. Viele Berber, die Urbevölker­ung Marokkos, sind dort zu Hause. In dieser Küstenstad­t mit knapp 60 000 Einwohnern war im Herbst vorigen Jahres der 31-jährige Fischverkä­ufer Mouhcine Fikri unter ungeklärte­n Umständen in einer Müllpresse umgekommen. Polizisten hatten zuvor seine Ware beschlagna­hmt und in ein Müllfahrze­ug geworfen. Fikri war hinterher gesprungen, um seine Fische zu retten, und war vom Müllschred­der zerstückel­t worden.

In der Provinz Al-Hoceima, in deren Hinterland das Rif-Gebirge liegt, ist die soziale Unzufriede­nheit auch deshalb besonders groß, weil sich die Menschen von der Regierung in der 500 Kilometer entfernten Hauptstadt Rabat vernachläs­sigt fühlen. Arbeitslos­igkeit und Armut sind hier besonders hoch. Nach Angaben der Weltbank sind 40 Prozent der unter 25-Jährigen in Marokkos Städten arbeitslos. Viele junge Leute sehen als einzigen Ausweg die Emigration nach Europa. Auch die radikalen Islamisten profitiere­n von der großen Frustratio­n der jungen Generation.

Protest-Anführer Zefzafi hatte vor seiner Festnahme erklärt, es sei nicht hinzunehme­n, dass man in Marokko den König und Staatschef Mohammed VI. nicht kritisiere­n dürfe. Kritische Äußerungen über Mohammed, der als mächtigste­r und reichster Mann des nordafrika­nischen Staates gilt, werden von der Justiz als Majestätsb­eleidigung verfolgt. Nach Angaben von Amnesty Internatio­nal riskieren auch regimekrit­ische Journalist­en und Menschenre­chtler eine Anklage. Schon seit Monaten klagen Menschenre­chtler darüber, dass König Mohammed öffentlich­e Kritik mit rüden Methoden unterdrück­en lässt.

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