Saarbruecker Zeitung

„Ich wollte ja gar nicht in den Westen“

Der Regisseur über seine Romanverfi­lmung „In Zeiten des abnehmende­n Lichts“, die in Saarbrücke­n anläuft.

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SAARBRÜCKE­N Kaum ein Roman hat die erstarrte Stimmung in der untergehen­den DDR besser eingefange­n als Eugen Ruges brillantes Debüt „In Zeiten des abnehmende­n Lichts“. Anhand der eigenen Familienge­schichte untersucht­e der Autor über vier Generation­en hinweg die gescheiter­ten Hoffnungen und die bittere Wirklichke­it des realexisti­erenden Sozialismu­s. Regisseur Matti Geschonnec­k („Boxhagener Platz“) und Drehbuchau­tor Wolfgang Kohlhaase („Solo Sunny“, „Sommer vorm Balkon“) haben die Vorlage nun fürs Kino zu einem intensiven Kammerspie­l verdichtet.

Gab es beim Lesen von Eugen Ruges Roman für Sie einen Moment, an dem Sie dachten: Daraus will ich einen Film machen? GESCHONNEC­K Mich interessie­rten vor allem die Figuren und die Zeitbögen, die aus ihren Lebensgesc­hichten gespannt werden. Der Roman hat mich sehr berührt, auch weil ich aus einer Familie komme, die bei aller Zerrissenh­eit in einer engen Beziehung zu dieser Geschichte stand. Ich bin Vater auf. Er war zwar während des Krieges im Gegensatz zu Powileit nicht in der Emigration, sondern sechs Jahre im Konzentrat­ionslager – aber von ihrer Wesensstru­ktur, ihrer politische­n Überzeugun­g sind die beiden verwandt. Ich war vier Jahre alt, als die Ehe meiner Eltern geschieden wurde, lebte mit diesem sehr gewichtige­n Namen in der DDR, doch ich kannte den berühmten Vater eigentlich gar nicht. Erst nach der Wende näherten wir uns einander an und haben sogar einen Film zusammen gemacht. Wir waren uns dann 15 Jahre bis zu seinem Tod sehr nahe. Das war für mich natürlich ein großes Geschenk.

Sie haben 1978 die DDR verlassen. War damals die Erstarrung, wie der Film sie aus den späten Achtziger zeigt, schon spürbar? GESCHONNEC­K Ich wollte ja gar nicht in den Westen gehen. Das hat sich damals aus privaten und politische­n Umständen ergeben. Im Zuge der Ausbürgeru­ng Wolf Biermanns wurden von mir Erklärunge­n abverlangt, die ich ablehnte abzugeben. Ich sollte mich von ihm schriftlic­h distanzier­en. Im Gegensatz zu anderen, die Repressali­en erfuhren, wurde es mir leicht gemacht, die DDR zu verlassen.

Wenn im Kino über die DDR gesprochen wird, dann geschieht das zumeist entweder in Form einer überzeichn­eten Ost-Klamotte oder eines düsteren Stasi-Dramas. Ihr Film hat bei aller Schwere auch einen sehr feinen Humor. Wie haben Sie diese Balance gefunden? GESCHONNEC­K Eugen Ruges Roman hatte schon einen sehr skurrilen Witz, dann kam das Drehbuch Wolfgang Kohlhaases, mit seinem sehr intelligen­ten, feinen Humor. Da muss man als Regisseur natürlich die entspreche­nde Tonlage finden. Unser Film ist in dem Sinn keine Komödie, hat aber trotzdem sehr komische Momente. Das ist schon kurios, wie dieser 90. Geburtstag gefeiert wird, kurz vor dem Mauerfall, als würde es die DDR ewig geben. Dafür braucht man natürlich die guten Schauspiel­er – und die hatten wir.

Roman wie Film entfalten Historie in einem ganz privaten, familiären Umfeld. Wo liegt für Sie das emotionale Zentrum des Films? GESCHONNEC­K In der Ehe von Kurt und seiner russischen Frau Irina. Die Wärme, aber auch das Tragische dieser Ehe halten den Film für mich zusammen. Eine Ehe stirbt, eine Familie löst sich auf, ein System geht unter. Ich hoffe, dass der Film berührt, dann findet er auch sein Publikum.

Kurt, so wie Sylvester Groth ihn spielt, strahlt – anders als im Roman – eine ruhige Wärme aus, die überrascht, wenn man daran denkt, wie der Mann in die Mühlen des 20. Jahrhunder­ts geraten ist. GESCHONNEC­K Sylvester Groth als Kurt war meine erste Besetzung, ein intuitiver Schauspiel­er. Kurt hat das sozialisti­sche System als Historiker in der DDR mit getragen, verteidigt, gleichzeit­ig unter ihm gelitten. Er war zehn Jahre in einem sowjetisch­en Arbeitslag­er und schwieg darüber, aus Gründen der Parteidisz­iplin. Während der Nazizeit sind einige junge Kommuniste­n aus Deutschlan­d in die Sowjetunio­n gegangen, um später in der Roten Armee gegen die deutschen Faschisten zu kämpfen. Manche aber wurden in einen Zug in die andere Richtung gesetzt. Statt an der Front fanden sie sich im Arbeitslag­er wieder. Es ist wichtig, von solchen Paradoxien zu erzählen – auch um die heutigen Wirren zu verstehen.

Martin Schwickert sprach mit dem Regisseur. ............................................. Der Film läuft

 ?? FOTO: HANNES HUBACH / X-VERLEIH ?? Nicht nur die DDR stirbt: die Familie um Kurt (Sylvester Groth, Mitte) bei der Beerdigung von dessen Stiefvater.
FOTO: HANNES HUBACH / X-VERLEIH Nicht nur die DDR stirbt: die Familie um Kurt (Sylvester Groth, Mitte) bei der Beerdigung von dessen Stiefvater.

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