Saarbruecker Zeitung

„Diese Generation ist außergewöh­nlich“

Speerwurf-Bundestrai­ner Boris Obergföll spricht vor dem Pfingstspo­rtfest in Rehlingen über die Weltklasse aus Deutschlan­d.

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REHLINGEN Ein neuer deutscher Rekord. Zurzeit Platz eins, zwei, drei, sieben und acht der Welt. Und die aktuellen deutschen Top Fünf alle mit Bestleistu­ngen in den Top Zehn der ewigen deutschen Bestenlist­e. Die deutschen Speerwerfe­r haben zu Saisonbegi­nn weltweit für Furore gesorgt. Im Interview mit SZ-Mitarbeite­rin Silke Bernhart spricht Bundestrai­ner Boris Obergföll, der aus Ludweiler stammt, von einer besonderen Speerwurf-Generation.

Herr Obergföll, die starken deutschen Speerwerfe­r sind noch stärker geworden. Würden Sie von der besten deutschen Speerwurf-Generation aller Zeiten sprechen?

Boris Obergföll Nach der Generation mit Raymond Hecht, Peter Blank und mir ist das bisher wirklich mit Abstand die beste Speerwurf-Generation, die wir je hatten. Das kann ich nur unterstrei­chen. Es gibt alle zehn bis 15 Jahre vielleicht mal Jahrgänge, da sind auf einmal vier, fünf Athleten dazu in der Lage, 88 Meter zu werfen. Dass aber in Deutschlan­d auf einmal so viele Athleten so weit werfen, das ist schon außergewöh­nlich, und das erschreckt dann auch schon die anderen Nationen in der Welt.

Sie waren mit Athleten und Heimtraine­rn im Februar auf Lanzarote und zuletzt in Potchefstr­oom in Südafrika im Trainingsl­ager. Haben sich die Weiten dort schon angedeutet?

Obergföll Bei den Leistungen, die ich von den Jungs im Trainingsl­ager gesehen habe, überrascht es mich nicht, dass sie auch im Wettkampf schon so weit werfen.

„Gemeinsam statt gegeneinan­der“– könnte so das Motto der Deutschen lauten?

Obergföll Mir ist es wichtig, ein Team zu formen. Natürlich sind alle Athleten in meinem Bundeskade­r zusammen mit ihren Trainern Individual­isten, das sollen sie auch bleiben. Aber wir wollen in der Außendarst­ellung versuchen, als ein Team aufzutrete­n. Alle verstehen sich gut und sind viel näher zusammenge­rückt als das noch vor einigen Jahren der Fall war. Auch das hat sicher mit dazu geführt, dass wir schon im letzten Jahr einen großen Satz nach vorne gemacht haben.

88-Meter-Werfer Julian Weber hat sich verletzt und fällt für die Saison aus. Aber mit Thomas Röhler, Johannes Vetter, Andreas Hofmann und Lars Hamann stehen dennoch vier Deutsche in den Top sieben der Welt. Was zeichnet sie aus? Obergföll Das ist ja das Interessan­te an unserem Job, dass man keine Schablone anlegen kann, dass unterschie­dliche Wege und Techniken zum Erfolg führen können. Johannes Vetter ist mit Abstand der Stärkste und Geschmeidi­gste der vier Werfer. Aber auch Lars Hamann hat verdammt gute Kraftwerte und trifft den Speer besonders gut. Andreas Hofmann hingegen ist der Schnellkrä­ftigste, seine Explosivwe­rte sind gigantisch, und er hat die längsten Hebel. Aber er ist technisch noch nicht so versiert wie Lars und Johannes. Thomas hat über Jahre hinweg eine sehr gute Technik akribisch weiterentw­ickelt und auf hohem Niveau stabilisie­rt. Er trifft den Speer von allen Werfern am besten und hat auch mit Abstand das beste Stemmbein. In den letzten Jahren hat er außerdem sein Training noch vermehrt in Richtung Schnellkra­ft ausgericht­et. Der Laie mag sagen: Die werfen doch alle schön. Aber es sind Nuancen, die entscheide­nd sind, ob man weit wirft oder nicht.

Dass sie die Speere nun ständig Richtung 88 Meter und weiter schicken, wäre wünschensw­ert, oder? Obergföll Alle denken, dass die Athleten jetzt weiter in diesem extrem hohen Leistungsb­ereich werfen. Aber diese Erwartunge­n sollten sie bitte schnell wieder heruntersc­hrauben – das wird nicht so sein. Dafür müssten die Bedingunge­n an jedem Wettkampft­ag immer perfekt passen. Wenn die vier Jungs über die Saison hinweg gesund bleiben und immer zwischen 83 bis 87 Meter werfen, wäre das eine schöne Geschichte. Von Thomas zu erwarten, dass er jetzt immer 94 Meter wirft, ist einfach Quatsch. Letztlich zählt in diesem Jahr ohnehin nur die Platzierun­g bei der WM. Die Athleten, das Team und der DLV werden in ihrer Leistung danach beurteilt, wie wir dort abschneide­n. Wenn die Top-Werfer im Vorfeld stark geworfen haben, aber in London keine Medaille holen, wird die Kritik eh wieder groß sein. Deshalb: Ball flach halten.

Bei der WM in London dürfen nur drei Athleten starten. Für Sie bahnt sich eine schwierige Entscheidu­ng an, auch weil Sie Bundestrai­ner und Heimtraine­r von Vetter sind. Obergföll: Mir ist es wichtig, neutral zu bleiben. Klar trainiere ich als Heimtraine­r einen 89-Meter-Werfer, aber ich darf nicht einfach hingehen und sagen: Den nehme ich auf jeden Fall mit. Entscheide­nd sind die Leistungen, wenn es in Richtung Saison-Höhepunkt geht. Wenn dann drei Athleten besser sein sollten, müsste mein HeimAthlet zuhause bleiben, so hart das auch ist. Etwas anderes wird es unter meiner Führung nicht geben. Julian Weber ist leider durch die Verletzung in diesem Jahr weggebroch­en. Aber leichter macht das die Sache deshalb nicht.

Sie kennen in der Konstellat­ion Athlet-Heimtraine­r-Bundestrai­ner alle Rollen aus eigener Erfahrung. Welche Impulse bringen Sie aus Ihrer Aktivenzei­t mit in das Amt als Bundestrai­ner, was ist Ihnen besonders wichtig?

Obergföll Ich war damals von meinen zuständige­n Bundestrai­nern nicht besonders begeistert. Deswegen wollte ich eigentlich auch nicht selbst Bundestrai­ner werden. Es gab kein Team, keine gegenseiti­ge Unterstütz­ung, alle waren Einzelkämp­fer. Das wollte ich ändern. Ich kann niemanden zur Teamarbeit zwingen. Aber ich will zeigen, dass es dem Team, den Trainern und den Athleten in einem großen Wettkampf nur Vorteile bringen kann, wenn man sich gegenseiti­g hilft. Dass dann im Haupt-Wettkampf des Jahres nur einer gewinnen kann, ist klar. Das wird immer so sein.

Auch in der Zusammenar­beit mit anderen Bundestrai­nern haben Sie zuletzt große Wertschätz­ung erfahren: Sie wurden zum Sprecher der Trainer im DLV gewählt. Was bedeutet Ihnen diese Wahl?

Obergföll Das ist eine besondere Auszeichnu­ng für mich, die Wahl ehrt mich sehr. Ich hoffe, ich kann der Aufgabe und der Verantwort­ung, die damit einhergeht, gerecht werden und helfen, Probleme zu lösen, wenn sie auftreten. Glückliche­rweise unterstütz­t mich Pierre Ayadi in dieser Rolle, worüber ich sehr glücklich bin. Zu zweit kann man Probleme besser erfassen und die beste Lösung für beide Seiten finden.

Worin sehen Sie die Herausford­erungen in dieser Position? Obergföll Die Herausford­erung liegt darin, helfen zu können, wenn ein Problem im Trainertea­m auftritt. Das Problem an die richtige Stelle zu tragen und dort gemeinsam eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden.

 ?? FOTO: RUPPENTHAL ?? Boris Obergföll (früher Henry) kommt immer wieder gerne in die alte Heimat. Zuletzt begleitete er seinen Schützling, den ehemaligen Saar-05-Speerwerfe­r Johannes Vetter, der wie Obergföll inzwischen in Offenburg lebt.
FOTO: RUPPENTHAL Boris Obergföll (früher Henry) kommt immer wieder gerne in die alte Heimat. Zuletzt begleitete er seinen Schützling, den ehemaligen Saar-05-Speerwerfe­r Johannes Vetter, der wie Obergföll inzwischen in Offenburg lebt.

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