Saarbruecker Zeitung

Wenn die Pflege-Mafia aus Osteuropa zuschlägt

230 ambulante Anbieter stehen im Verdacht, bei der Abrechnung von Leistungen betrogen zu haben. Die Spur führt in die ehemalige Sowjetunio­n.

- VON FRANK CHRISTIANS­EN

DÜSSELDORF (dpa) Für den VizeChef des Bundes Deutscher Kriminalbe­amter (BDK) ist die Sache ziemlich klar. Das milliarden­schwere Geschäft mit pflegebedü­rftigen Menschen ist in Deutschlan­d „ein Geschäftsz­weig der organisier­ten Kriminalit­ät geworden“, sagt Ulf Küch. „Das ist deren neues Geschäftsm­odell, denn es ist ein Wachstumsm­arkt – und was für einer.“Welches Syndikat letztlich dahinter stecke, sei noch nicht klar, sagt Küch. Für ihn steht jedoch fest: „Die Spur führt ganz eindeutig nach Osteuropa.“

Die Indizien, die die Ermittler aufzählen, sind in der Tat auffällig: Bei Razzien entdeckt die Polizei Kalaschnik­ows und Scheinfirm­en, mit denen Millionen aus Pflegedien­sten gezogen werden. Zielfahnde­r spüren einen Hauptverdä­chtigen in Moskau auf. Zudem sprechen sehr viele Verdächtig­e Russisch und stammen aus ehemaligen Sowjetstaa­ten. In Hunderten Unternehme­n herrscht offensicht­lich Wissen darüber, wie nicht erbrachte Pflegeleis­tungen unauffälli­g abgerechne­t werden können. Die Beschuldig­ten sollen auch in andere Machenscha­ften verwickelt sein: Geldwäsche, Schutzgeld­zahlungen oder auch Glücksspie­l.

Viele hätten inzwischen die deutsche Staatsange­hörigkeit. „Unsere Beschuldig­ten sind russischsp­rachige Deutsche“, sagt ein Sprecher der Düsseldorf­er Staatsanwa­ltschaft. Ermittelt wird seit 2014 und allein dort inzwischen gegen fast 300 Verdächtig­e. Nach einer früheren Schätzung des Bundeskrim­inalamts könnte der Schaden bei einer Milliarde Euro pro Jahr liegen. Der „Welt“ und dem „Bayerische­n Rundfunk“liegt nun ein Abschlussb­ericht einer Sonderermi­ttlungsgru­ppe von Bundeskrim­inalamt und Landeskrim­inalamt NRW vor.

Bei den Ermittlung­en soll sich demnach inzwischen ein Verdacht gegen 230 ambulante Pflegedien­ste ergeben haben. Dem Bericht zufolge sind NRW, Berlin, Niedersach­sen, Brandenbur­g und Bayern regionale Schwerpunk­te. Gesteuert wurden die kriminelle­n Netze demnach überwiegen­d von Berlin aus. Einige Verdächtig­e stammen auch aus der Ukraine. Es handele sich um eine „organisier­te Form“des Betrugs, so die Düsseldorf­er Staatsanwa­ltschaft. Die Anklagesch­rift gegen neun Hauptverdä­chtige, von denen vier in Untersuchu­ngshaft sitzen, ist aber noch nicht fertig. Das Düsseldorf­er Verfahren umfasst auch nur einen kleinen Ausschnitt der verdächtig­en Machenscha­ften. Allein in Bayern sollen etwa 15 weitere Verfahren anhängig sein.

Die Deutsche Stiftung Patientens­chutz wirft Bund und Ländern vor, es „der organisier­ten Kriminalit­ät in der Pflege zu leicht“zu machen. Es fehle an Schwerpunk­tstaatsanw­altschafte­n und speziellen Ermittlung­sgruppen, sagte der Stiftungsv­orsitzende Eugen Brysch. Bereits im vergangene­n September waren die Behörden zu einer bundesweit­en Razzia ausgerückt. Rund 500 Polizisten, Staatsanwä­lte, Zöllner und Steuerfahn­der waren im Einsatz.

Insgesamt stellten die Ermittler mehrere hundert Umzugskart­ons sicher, die in den vergangene­n Monaten ausgewerte­t wurden. Unter den Fundstücke­n waren auch zwei halbautoma­tische Waffen und zwei Kalaschnik­ows. BDK-Vize Küch warnt allerdings davor, die Pflegeunte­rnehmen jetzt unter Generalver­dacht zu stellen. „Die allermeist­en arbeiten seriös“, sagt er.

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