Saarbruecker Zeitung

Schatten der Vergangenh­eit

EU-Kommission­schef Juncker will mit der Steuerhint­erziehung in Luxemburg nichts zu tun gehabt haben.

- VON MARKUS GRABITZ

BRÜSSEL Die beiden könnten gegensätzl­icher kaum sein. Hier der grüne Europa-Politiker Sven Giegold – Überzeugun­gstäter, AttacGründ­er, der häufig etwas moralinsau­er daherkommt, seit ewigen Zeiten dabei, aber mit seinen 47 immer noch irgendwie jung. Dort Jean-Claude Juncker (62), der gern auch mal ein Auge zudrückt, barock in seiner Lebensführ­ung ist und charmant sein kann.

Giegold ist der Finanzexpe­rte seiner Partei, der Luxemburge­r Juncker seit 2014 EU-Kommission­spräsident. Davor hat er aber viele Jahre in der Finanzpoli­tik mitgemisch­t. Er war Finanzmini­ster des Herzogtums und Chef der Eurogruppe. Wenn Juncker auf Giegold trifft, dann prallen zwei Welten aufeinande­r. Giegold wirft Juncker seit langem vor, Komplize von großen Steuerverm­eidern gewesen zu sein, ihnen geholfen zu haben, die Steuerlast zu drücken.

Gestern war es wieder soweit: Diesmal ging es um das Geld von vermögende­n Privatleut­en. Giegold ist überzeugt, dass Luxemburg vor allem für steuersche­ue Deutsche und Belgier zwischen 2005 und 2010 eine der weltweit ersten Adressen war. Während sich anderswo in der EU das Netz für Steuerhint­erzieher immer enger zusammenzo­g, habe Luxemburg das Anlagekapi­tal angesaugt, sich einen Namen gemacht als Steueroase mitten in der EU und damit Beihilfe zur Steuerhint­erziehung geleistet. Giegold hat recherchie­rt, dass die Gelder, die reiche Deutsche in Luxemburg geparkt haben, um 250 Prozent angestiege­n sind – von etwa 100 Milliarden Dollar im Jahr 2000 auf 264 Milliarden Dollar Ende 2007. Im Ausschuss wird Juncker 90 Minuten lang befragt, welche Rolle er dabei hatte. Giegold muss fast eine Stunde warten, bis er an die Reihe kommt. Er hört, wie Juncker um Verständni­s dafür bittet, in Luxemburg nicht härter zugegriffe­n zu haben: „Wir lebten in einer anderen Welt.“Er streitet noch einmal ab, dass er sich als Finanzmini­ster jemals um die konkrete Besteuerun­g eines Unternehme­ns gekümmert habe.

Giegold fordert aber von Juncker, reinen Tisch zu machen. „Sie müssen die Verantwort­ung dafür übernehmen, dass Luxemburg im Gremium der Mitgliedst­aaten jahrelang EU-weit wirksame Regelungen ausgebrems­t hat.“Beim Schließen von Steuerschl­upflöchern hätte die EU viel früher weiter sein können. In der EU-Steuerpoli­tik müssen Beschlüsse aber einstimmig gefällt werden.

Giegold hat hochgerech­net, dass die auf Beihilfe zur Steuerumge­hung und Steuerverm­eidung spezialisi­erte Finanzindu­strie in Luxemburg den anderen EU-Ländern Steuerausf­älle in Höhe von 353 Milliarden Euro beschert hat. Die politische Verantwort­ung übernehmen? Juncker sagt: „Ich würde mir wünschen, dass meine Glaubwürdi­gkeit daran gemessen wird, welche Steuer-Initiative­n ich als EU-Kommission­spräsident eingeleite­t habe.“

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FOTO: AFP/CHARLIER Jean-Claude Juncker gestern vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss des Europaparl­aments.
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FOTO: ?? Sven Giegold kritisiert­e JeanClaude Juncker scharf.
GIEGOLD FOTO: Sven Giegold kritisiert­e JeanClaude Juncker scharf.

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