Saarbruecker Zeitung

Politische­s Spiel um Jens Weidmann

Es wird spekuliert, dass der Bundesbank­präsident an die Spitze der EZB rücken könnte. Manche Experten halten dies aber für unwahrsche­inlich. INFO Wo Jens Weidmann Karriere machte

- VON WERNER KOLHOFF

BERLIN Angeblich wollen Angela Merkel und Wolfgang Schäuble (beide CDU), dass mit Jens Weidmann, derzeit Bundesbank­präsident, endlich ein Deutscher Präsident der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) und Nachfolger des Italieners Mario Draghi wird. Das meldeten kürzlich mehrere Medien. An der Reihe wäre die größte Euro-Nation. Jedoch ist nicht sehr wahrschein­lich, dass die Berufung gelingt. Nicht einmal, dass sie ernsthaft beabsichti­gt ist.

Ein Grund: Ein solches Vorgehen passt nicht in die Zeit. Kanzlerin Merkel selbst hat gerade festgestel­lt, dass Europa auf sich allein gestellt ist; das Vorrücken der Populisten, vor allem in Frankreich, steckt allen noch in den Knochen. Angesagt ist jetzt eher eine deutsche Politik, die Frankreich, aber auch Italien, Spanien und anderen Südländern hilft. Und die brauchen Niedrigzin­sen als einen Beitrag, um ihre Volkswirts­chaften wieder flottzumac­hen. Und um ihre Schulden bedienen zu können. Das war Draghis Kurs. Der 49-jährige Weidmann, der vor seinem Amt als Bundesbank­präsident Wirtschaft­sberater Merkels im Kanzleramt war, hat sich im EZBKreis stets gegen diese Geldpoliti­k ausgesproc­hen, zum Teil auch öffentlich. Seine Wahl wäre das Signal: Deutschlan­d will den Zuchtmeist­er Europas spielen. Zum jetzigen Zeitpunkt fatal. Außerdem hat auch Frankreich für den EZBJob bereits Interesse angemeldet.

Weidmann hat ohnehin nur geringe Chancen. Stellen auf europäisch­er Ebene werden meist im Paket entschiede­n, und zwar im Europäisch­en Rat, der Runde der Staats- und Regierungs­chefs. Also politisch. Jetzt ist es dafür sowieso viel zu früh. Die Draghi-Stelle wird erst Ende 2019 frei, Anfang 2019 dürfte eine Entscheidu­ng fallen. Die Frage wird dann sein, wie groß das Paket geschnürt wird. Nähme man nur das Kapitel Finanzen, dann wären die Deutschen mit den Chefposten bei der Europäisch­en Investitio­nsbank und dem Europäisch­en Rettungssc­hirm ohnehin schon gut versorgt. Denkbar ist aber auch, dass größer gedacht wird, denn 2019 müssen auch die politische­n Chefposten des EUKommissi­onspräside­nten und des Europäisch­en Ratspräsid­enten neu besetzt werden. Die Amtszeiten von Jean-Claude Juncker und Donald Tusk laufen aus. Von den Nachfolgep­ersonalien hier hängt dann eventuell auch die EZB-Entscheidu­ng ab. Das aber ist derzeit noch nicht kalkulierb­ar.

Der Vorschlag ist wohl nur taktische Spielmasse. Beobachter in Berlin vermuten, dass die Meldung Jens Weidmann wurde 1968 in Solingen geboren. Er studierte Volkswirts­chaft an den Universitä­ten Aix-Marseille und Bonn. 1997 machte er in dem Fach auch seinen Doktor. Weidmann kam 2003 als Leiter der Abteilung Geldpoliti­k zur Bundesbank. Drei Jahre später wechselte er ins Kanzleramt und leitete dort die Abteilung Wirtschaft­s- und Finanzpoli­tik. Seit Mai 2011 ist er Präsident der Deutschen Bundesbank.

mit Absicht lanciert wurde. Den Informatio­nen zufolge im Umfeld der Frühjahrst­agung des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) in Washington, an der Finanzmini­ster Schäuble teilnahm und von der auch etliche deutsche Journalist­en berichtete­n. In diesem Zeitraum tauchte sie auf. Schäuble könnte, mutmaßen die einen, damit eine Verhandlun­gsposition gegenüber den Franzosen und anderen EuroPartne­rn aufbauen wollen. Frei nach dem Motto: Eigentlich stünde Deutschlan­d der Posten zu, wo kommt ihr uns entgegen, damit wir verzichten? Andere argwöhnen, er wolle parteiinte­rne Kritiker beruhigen, die sich seit langem an der lockeren Geldpoliti­k der EZB stoßen. In der CSU wurde Draghi gar als „Falschmünz­er“beschimpft.

Die Frage ist freilich, wie ernst die Idee eines deutschen EZB-Präsidente­n überhaupt gemeint ist. Denn eigentlich, so ein Berliner Experte, sind Draghi und seine Geldpoliti­k für Merkel und Schäuble ganz ideal gewesen. Man habe in Berlin politisch und finanziell davon profitiert und trotzdem immer mit dem Finger auf den Italiener zeigen können. Säße da der Merkel-Vertraute Weidmann, funktionie­re das nicht mehr. „Dieser Personalvo­rschlag“, so ein Berliner Finanzpoli­tiker, „hält genau bis zur Bundestags­wahl am 24. September“.

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FOTO: ALBERTO PIZZOLI/AFP Jens Weidmann werden Chancen auf die Nachfolge Mario Draghis an der EZB-Spitze zugeschrie­ben.

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