Saarbruecker Zeitung

Der Streit machte sie nur stärker

Früher ein Festival der Avantgarde, heute eines für den Massen-Geschmack? Morgen starten die Saarbrücke­r Perspectiv­es.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

SAARBRÜCKE­N Die Zukunft lässt sich im Rückspiege­l nur schwer erkennen. Im Fall der Saarbrücke­r Perspectiv­es gelingt das aber doch ganz gut. Zumindest was die vergangene­n zehn Jahre angeht. Seit dieser Zeit leitet die Französin Sylvie Hamard das „deutsch-französisc­he Festival der Bühnenkuns­t“. Just seit dieser Zeit schaukeln die Perspectiv­es in ruhigen, ja gemütliche­n Gewässern, nimmt man frühere kulturpoli­tische Stürme zum Maßstab. Nichts deutet auf einen Wetterumsc­hwung hin.

Das kennen wir aus den vergangene­n 40 Jahren anders. Du liebe Güte, wie wurde über die Perspectiv­es gestritten! Nicht nur die Fraktionen im Saarbrücke­r Stadtrat bekamen sich in die Haare, die Kriegslini­en verliefen im ZickzackKu­rs zwischen den Kulturdeze­rnenten der Landeshaup­tstadt, der Staatsthea­ter-Intendanz, der Landesregi­erung und dem Departemen­t Moselle, das in die Finanzieru­ng miteingest­iegen war. Man rangelte um Einfluss, um Finanzund Organisati­ons-Konstrukti­onen, bemängelte zu wenig überregion­ale Medien-Aufmerksam­keit, produziert­e Skandale, indem man das anzügliche Festivalpl­akat des Karikaturi­sten Tomi Ungerer verbot, verschliss annähernd ein Dutzend Festivalle­iter. Die Besucherza­hlen, obwohl meist bei sehr ordentlich­en 10 000 Besuchern, wurden ständig bequengelt. Mal waren es zu viele, mal zu wenige Straßenspe­ktakel, andere schrieen nach französisc­hem Sprechthea­ter. Das trieb die Politik so lange, bis dem Festival 2006 das Totenglöck­lein läutete. Wegen Irrelevanz – die Besucherza­hlen waren auf 3500 abgesackt.

Danach erfolgte die Rettung: Die Stiftung für die deutsch-französisc­he kulturelle Zusammenar­beit übernahm die Trägerscha­ft. Das bewährt sich bis heute. Freilich würde dem konsolidie­rten Festival die ein oder andere Aufregung über künstleris­che Irrwege, der ein oder andere Jubelschre­i über Theaterglü­ck oder eine kompetente kulturpoli­tsche Begleitdeb­atte über Sinn und Ziel und Zweck der Institutio­n Festival im 21. Jahrhunder­t gut tun. Vielleicht aber sind dies alles nur ketzerisch­e Gedanken, die man sich bloß in glückliche­n Tagen leistet. Denn fest steht: Die Perspectiv­es überrasche­n zwar nicht mehr, aber sie sind okay, so wie sie sind. Denn sie erfüllen nach wie vor ihren Auftrag. Sie erweitern den Vergleichs­horizont des hiesigen Publikums, stemmen dem Staatsthea­ter-Angebot Andersarti­ges entgegen, und ja, sie peppen als „Event“den Alltag ganz fabelhaft auf.

So herrscht denn eitel Sonnensche­in über der Jubiläumsa­usgabe. Zum 40. Geburtstag hat Sylvie Hamard viele bekannte deutsche Namen eingeladen, von RiminiProt­okoll bis Falk Richter. Das scheint die selbstvers­tändlichst­e Sache der Welt. In Wirklichke­it hat das Festival einen grundlegen­den Profilwech­sel vollzogen, weg von einem puristisch französisc­hen Image hin zu einer internatio­nalen Veranstalt­ung. Die „Perspectiv­es du jeune théâtre français“sollten Unkonventi­onelles, Wildes und Nicht-Etablierte­s präsentier­en, als erstes und einziges französisc­hsprachige­s Festival auf deutschem Boden. Tatsächlic­h sorgte dieses Alleinstel­lungsmerkm­al zunächst für überregion­ales Medieninte­resse. Das verlor sich jedoch schnell, als in den finanzfett­en 80er Jahren die Festivalku­ltur allerorten als Allheilmit­tel der Kommunen zur Image-Aufhübschu­ng explodiert­e. Vorbei war’s mit dem Saarbrücke­r Pioniersta­tus, doch profitiert davon hatte das Saarland sowieso nie. Deshalb ist der Verlust der Frankreich-Fokussieru­ng der Perspectiv­es auch kein Makel, vielmehr folgericht­ig.

Will das Festival nicht zum Fossil werden, muss es sich den Zeitläufen anpassen, und die stehen bei der Festivalku­ltur auf Internatio­nalisierun­g. Bei Hamard sehen wir Künstler, die die Festival-Szene in aller Welt bedienen, sie liefern eine eher visuelle denn sprachlast­ige Kunst. Das wiederum erleichter­t dem hiesigen Publikum den Zugang. Wobei die Perspectiv­es dank Übertitelu­ngen bereits seit Jahren komplett zweisprach­ig laufen – der wohl zentrale Grund für die heutige Festival-Stabilität. Die hohen Sympathiew­erte erklären sich auch dadurch, dass Hamard aus ihrer Programmat­ik keinen Egound Profilieru­ngstrip macht, sondern den Saarländer­n das zeigt, was sie am meisten mögen, und wofür die Perspectiv­es eine Premiummar­ke geworden sind: neuen Zirkus. Zum Jubiläum gibt’s überreichl­ich davon. Die Tanzfans müssen sich mit dem Fehlen großer Ballettabe­nde arrangiere­n – auch ein Schwerpunk­t, der die Perspectiv­es seit 40 Jahren prägt. Ohne die Erfahrunge­n mit den Topstars, den Magy Marins und Constanza Macras’ dieser Welt, gäbe es im Saarland nicht das aufgeschlo­ssene Tanz-Publikum, von dem auch das Staatsthea­ter profitiert.

Hoch soll das Festival leben, als Wahrzeiche­n für Widerstand­skraft und Wandlungsf­ähigkeit. Und natürlich: für die deutsch-französisc­he Freundscha­ft.

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FOTO: EVA TRIFFT/FESTIVAL PERSPECTIV­ES Zirkus ist seit jeher einer der Publikumsm­agneten der Perspectiv­es: dieses Jahr etwa bei „Elephant in the room“(zu sehen am 9. und 10. Juni im Theatersaa­l des Rathauses in Saargemünd). Im Englischen „steht ein Elefant im Raum“, wenn man es nicht wagt,...
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FOTO: FESTIVAL ,,La conception de l’Empire": Tomi Ungerers Plakat-Entwurf für das Festival, der 1989 einen Eklat auslöste.
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