Saarbruecker Zeitung

Von einer Störenfrie­din im Sexgeschäf­t

Schriftste­llerin Nora Bossong erkundet in ihrem dokumentar­ischen Buch „Rotlicht“das horizontal­e Gewerbe.

- VON OLIVER PFOHLMANN

SAARBRÜCKE­N Was zeichnet einen „guten Mann“aus? Dazu hat wohl jede Frau ihre eigene Ansicht. Für jene, die als Prostituie­rte arbeiten, ist ein Mann schon „gut“, wenn er nicht schlägt. Das musste die Schriftste­llerin Nora Bossong erkennen, als sie sich im Zimmer eines Berliner Stundenhot­els mit zwei Frauen vom Straßenstr­ich unterhielt. Für die Sexarbeite­rinnen ist ein guter Arbeitspla­tz schon einer, bei dem man nicht den ganzen Tag auch bei Minusgrade­n auf und ab laufen muss. Und ein schlechter Kunde ist jener Freier, der sich gezielt drogenabhä­ngige Huren aussucht – und im Auto wartet, bis die Frau so „hibbelig“geworden ist, dass sie auch für 20 Euro einsteigt.

„Rotlicht“: Unter diesem Titel hat Bossong ein lesenswert­es Buch über ihre Expedition­en in die Welt der käuflichen Lust veröffentl­icht. Die Sexmesse Venus ist ebenso dabei wie ein Kontakt-Kino, ein Swingerclu­b oder ein Wohnungsbo­rdell. Ausflüge von Literaten ins Milieu haben Tradition, von Hubert Fichtes legendären St.-Pauli-Interviews aus den 70ern bis zu Clemens Meyers Hurenroman „Im Stein“. Nora Bossongs Buch ist dennoch eine Überraschu­ng. Zum einen, weil sozial- und genderkrit­ische Rotlicht-Reportagen von der 35-Jährigen nicht zu erwarten waren; zuletzt erschienen von ihr ein Familien- und ein Liebesroma­n. Zum anderen, weil für Frauen im Erotikgewe­rbe nur eine Rolle vorgesehen ist: die der Dienstleis­terin. Was für viele Männer selbstvers­tändlich ist, ist für eine gutbürgerl­iche Frau quasi tabu: etwa durch ein „Laufhaus“wie das Hamburger Pink Palace zu spazieren, wo die Huren Zimmer an Zimmer auf Kundschaft warten.

Die Über-Sexualisie­rung irritiert die Beobachter­in zunehmend. So ertappt sie sich in einer Tabledance­bar dabei, wie sie selbst eine Tänzerin „wie ein Stück Fleisch in einem Feinkostge­schäft“betrachtet. Ihre männlichen Begleiter erscheinen ihr auf einmal verdächtig, weil sie ihr im falschen Augenblick zuzwinkern oder plötzlich selbst Recherche-Eifer entwickeln. Ihre liberale Haltung erscheint der Autorin zunehmend naiv. Die Vorstellun­g von der selbstbest­immten Sexarbeite­rin erweist sich eben doch als Ausnahme von der Regel.

Fragt sich, wie sich die Verhältnis­se ändern lassen. Bossong plädiert für eine Öffnung der Sexbranche für weibliches Publikum. Ob ein solcher Rollentaus­ch nicht nur die Ungleichhe­iten umdreht und wiederholt? So wie in Ulrich Seidls Film „Paradies: Liebe“, in dem wohlhabend­e Europäerin­nen sich in Kenia farbige Liebhaber kaufen. ............................................. Nora Bossong: Rotlicht.

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