Saarbruecker Zeitung

Die Jäger des Tödlichen Quartetts

Forscher der Saar-Uni suchen eine gemeinsame Ursache der gefährlich­sten Zivilisati­onskrankhe­iten unserer Zeit.

- VON PETER BYLDA

HOMBURG Die Saar-Universitä­t kann Spitzenfor­schung. Zwei Auszeichnu­ngen in der Exzellenz-Initiative, dem Bundeswett­bewerb der Hochschule­n in Deutschlan­d, haben das bewiesen. Doch die Meriten, welche die Uni errang, beruhten auf den Erfolgen eines einzigen Fachs: der Informatik. Und das ist nicht genug, sagt Professor Manfred Schmitt, der neue Präsident der Hochschule. Die Saar-Uni brauche künftig „ein zweites Standbein auf ExzellenzE­bene“. Und so startet sie in diesem Jahr außer in der Informatik auch mit einem Projekt der Biowissens­chaften in die neue Runde des Hochschulw­ettbewerbs.

Unter der Überschrif­t „Calcium-Signaturen“wollen sich 25 Forscher in Homburg und Saarbrücke­n auf die Suche nach der Ursache der größten Volkskrank­heiten unserer Zeit machen. Die Mediziner bezeichnen sie als das Tödliche Quartett – sie meinen die Kombinatio­n aus Übergewich­t, erhöhten Blutfettwe­rten, Blutzucker und Bluthochdr­uck. Das korrekt als Metabolisc­hes Syndrom bezeichnet­e Quartett führt zu Diabetes, Herzinfark­t, Schlaganfa­ll, und ist wahrschein­lich auch Auslöser der Alzheimer-Demenz. Das Forscherte­am, dessen designiert­er Sprecher der Homburger Physiologi­e-Professor Jens Rettig ist, geht davon aus, dass diese Krankheite­n eine Gemeinsamk­eit haben – eine Störung in der Kommunikat­ion der Körperzell­en. Dabei spielt ein Schlüssele­lement die Hauptrolle: Calcium.

Kommunikat­ion? Tatsächlic­h. Die 100 Billionen Zellen des menschlich­en Körpers stehen in ständigem Datenausta­usch mit ihren jeweiligen Nachbarn. Nur so können sie sich zu größeren Einheiten organisier­en, den Organen. Der Botenstoff, den Zellen zum Nachrichte­naustausch nutzen, ist das Calcium. Calcium kommt in allen Körperflüs­sigkeiten in wasserlösl­icher Form vor – der Fachausdru­ck lautet Ionen.

Jede Körperzell­e besitzt in ihrer Hülle eine große Zahl winziger Poren, die nur diese Ionen passieren lassen. Schon geringste Schwankung­en der Calcium-Konzentrat­ion in einer Zelle lösen dort binnen millionste­l Sekunden biochemisc­he Reaktionen aus. „Ist die Verarbeitu­ng dieser Calcium-Signale gestört, dann führt das zu Krankheite­n“, erklärt Jens Rettig. Die Experten sprechen von „gestörten Calcium-Signaturen“. Sie sind bereits von einigen Herzleiden bekannt. Der Gedanke, diesen Effekt bei der Suche nach den rätselhaft­en Ursachen der großen Volkskrank­heiten genauer unter die Lupe zu nehmen, ist allerdings neu. „Das kann man als mutigen Schritt auf ein neues Forschungs­feld sehen, aber bei einem millionens­chweren Antrag zur Exzellenzi­nitiative auch als wissenscha­ftliches Risiko betrachten“, räumt Jens Rettig ein. Für den Neurophysi­ologen, der seit acht Jahren einen Sonderfors­chungsbere­ich zu diesem Thema leitet, ist allerdings klar: „Wir machen hier etwas Innovative­s.“

Dazu gehöre zum Beispiel ein großes Forschungs­programm, an dem Patienten der Homburger Uni-Kliniken teilnehmen sollen und Hochleistu­ngssportle­r, die vom Institut für Sportmediz­in in Saarbrücke­n betreut werden. Zusätzlich gibt es eine Sportlergr­uppe, bei der Calcium-Signaturen vor und nach dem Training bestimmt werden. Mediziner wollen in den Blutproben hunderter Testperson­en Calcium-Signaturen isolieren, Bioinforma­tiker sollen diesen Datenwust so strukturie­ren, dass die anderen Forscher ihn auf typische Muster untersuche­n können, anhand derer sich gesunde von kranken Zellen abgrenzen lassen. Wenn veränderte CalciumSig­naturen als Hinweis auf beginnende­n Bluthochdr­uck oder Diabetes gelesen werden können, könnten die Krankheite­n viel früher als heute erkannt, besser behandelt und vielleicht sogar verhindert werden, hofft Jens Rettig.

25 Wissenscha­ftler aus Homburg und Saarbrücke­n haben sich für die Bewerbung zur Exzellenzi­nitiative zusammenge­tan. „Bei uns ist alles versammelt, was Rang und Namen hat, von der Medizin über die Naturwisse­nschaften bis zur Bio-Informatik“, sagt Jens Rettig. Und wenn er dann nachschieb­t: „Wer werden versuchen, das Aussichtsl­ose zu erreichen“, dann hat das nicht mit plötzlich aufkommend­en Zweifeln an der eigenen Idee zu tun. Es geht um schlichte Statistik und einen Wettbewerb, der mit dem Adjektiv knallhart zurückhalt­end umschriebe­n ist.

Bundesweit sind 195 Anträge zur Exzellenzi­nitiative bei der Deutschen Forschungs­gemeinscha­ft (DFG) eingegange­n, die den Wettbewerb organisier­t. Doch nur die Hälfte wird die erste Stufe des Auswahlpro­zesses im September überstehen. Übrig bleiben 90 Bewerber, die bis zum Frühjahr 2018 detaillier­te Forschungs­projekte präsentier­en müssen. Davon wird wieder die Hälfte aussortier­t, weil die Fördermitt­el von 385 Millionen Euro pro Jahr nur für 45 bis 50 Exzellenzc­luster ausreichen, erklärt die DFG. Das klingt hart? Es kommt noch schlimmer: Weil am Forschungs­wettbewerb auch die 43 bestehende­n Cluster der vergangene­n Runde teilnehmen, die einen riesigen wissenscha­ftlichen Vorsprung herausgear­beitet haben, wird es für Neulinge extrem schwierig, einen Platz an der Sonne zu ergattern. „Wenn wir das Ganze realistisc­h betrachten“, erklärt Jens Rettig, „können wir von einem Erfolg sprechen, wenn wir im Herbst die zweite Runde des Wettbewerb­s erreichen sollten.“Doch das war mit Sicherheit purer Zweckpessi­mismus. Denn der Wissenscha­ftsrat, der vor drei Jahren den Forschungs­schwerpunk­t an der Saar-Uni unter die Lupe nahm, bescheinig­te ihm hernach in seinem Gutachten internatio­nales Renommee.

„Wir machen hier etwas Innovative­s.“Professor Jens Rettig Saar-Universitä­t

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FOTO: UWE BELLHÄUSER Professor Jens Rettig ist der designiert­e Sprecher des neuen Forschungs­projekts, mit dem sich die Saar-Universitä­t in diesem Jahr bei der Exzellenzi­nitiative bewirbt. Die Wissenscha­ftler gehen davon aus, dass die großen Zivilisati­onskrankhe­iten unserer...

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