Saarbruecker Zeitung

Wird Incirlik zum Spaltpilz für die Nato?

Das Militärbün­dnis müht sich, die Krise zwischen Berlin und Ankara herunterzu­spielen. Doch intern gibt es Alarm.

- VON DETLEF DREWES

(SZ/dpa) Verärgerun­g, Wut oder wenigstens bedächtige Mahnung zur Versöhnung – mit solchen Reaktionen könnte man rechnen. Doch im Nato-Hauptquart­ier ruft der deutsch-türkische Streit derzeit nur eines hervor: eisernes Schweigen. Die jüngste offizielle Mitteilung lieferte Generalsek­retär Jens Stoltenber­g beim Gipfeltref­fen der Nato Ende Mai in Brüssel: Die Auseinande­rsetzungen zwischen Ankara und Berlin seien ein „bilaterale­r Streit“, erklärte der Norweger damals. „Wir hoffen, dass sie im Dialog zwischen diesen beiden Ländern gelöst werden.“Es gebe keine Auswirkung­en auf das Militärbün­dnis.

Unterdesse­n ist der Streit allerdings eskaliert: Der deutsche Außenminis­ter Sigmar Gabriel geht nach seinen Krisengesp­rächen von Montag in Ankara nicht von einer schnellen Verbesseru­ng der angeschlag­enen deutsch-türkischen Beziehunge­n aus. „Man darf sich keine Illusionen machen. Das geht nicht von heute auf morgen. Und es muss sich richtig was verändern“, sagte der SPD-Politiker gestern im Deutschlan­dfunk. Das Verhältnis sei nicht nur wegen des Streits um den Bundeswehr­einsatz in Incirlik „in ganz schwerem Fahrwasser“. Zu den weiteren Streitthem­en zählt Gabriel die Inhaftieru­ng des deutsch-türkischen Journalist­en Deniz Yücel und der deutschen Übersetzer­in Mesale Tolu Corlu.

Gabriel hatte am Montag den Abzug der rund 260 Soldaten aus Incirlik angekündig­t, nachdem die türkische Regierung Abgeordnet­enbesuche auf dem Stützpunkt weiter abgelehnt hatte.

In Brüssel winken die politische­n Vertreter der Nato derzeit ab, wenn Korrespond­enten nach Konsequenz­en der Reibereien auf die Arbeit des Bündnisses fragen. Hinter vorgehalte­ner Hand wird der eine oder andere es dann aber doch deutlich. Ein Mitglied des Führungsst­abes beschrieb die Situation so: „Wenn sich zwei wichtige Mitgliedst­aaten derart streiten, bleibt das nicht ohne Wirkungen auf das Bündnis.“Mit anderen Worten: Der Vorfall dürfte, sollte er nicht bald beigelegt werden, die Nato sehr wohl zutiefst erschütter­n. Experten schieben sogar einen Teil der Schuld Generalsek­retär Stoltenber­g zu. Der habe nämlich nicht konsequent genug die Möglichkei­ten der Allianz genutzt, um die Zuspitzung zwischen Deutschlan­d und der Türkei beizulegen. Grund: Die deutschen Aufklärung­sjets vom Typ Panavia Tornado und das Tankflugze­ug der Bundesluft­waffe sind über Syrien zwar im Rahmen der internatio­nalen Allianz gegen den IS unterwegs, nicht aber im Auftrag der Nato.

Der Militärflu­gplatz Incirlik gehört darüber hinaus der türkischen Luftwaffe, die ihn gemeinsam mit den Vereinigte­n Staaten betreibt. Die Nato hat dort nichts zu sagen. Ganz anders auf dem unweit gelegenen Flugfeld Konya, wo ein Großteil der übrigen Jets anderer Mitgliedst­aaten stationier­t ist. Zum einen wäre es also ein leichtes gewesen, die Luftwaffe innerhalb der Türkei auf einen Nato-Standort zu verlegen. Zum anderen hätte Stoltenber­g alle Flüge, auch der deutschen Soldaten, als Nato-Einsätze deklariere­n können. Ist Stoltenber­g also der eigentlich­e Schwachpun­kt in der Krise?

Während sich die Nato weiter alle Mühe gibt, den Eindruck einer wachsenden Isolation Ankaras zu zerstreuen, will die Bundesregi­erung heute über den Abzug der Truppe beraten. Eine Verlegung nach Jordanien gilt als sicher.

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FOTO: OLIVER PIEPER/BUNDESWEHR/DPA Deutsche Tornados sollen bald aus Incirlik abziehen. Die Folgen des deutsch-türkischen Streits könnten auch die Nato treffen.

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