Großes Körpergeschleuder
Die Artisten Justine Berthillot & Frédéri Vernier überzeugen bei den Perspectives.
Am Montag wollte es sich endlich einstellen, jenes Noch-nie-so-dagewesen-Erlebnis, das wir durch innovative Zirkus-Gastpiele verwöhnten Perspectives-Besucher von jedem Festival aufs Neue erwarten. Es kam mit Justine Berthillot und Frédéri Vernier – zwei Akrobaten, die mit „Noos“den wohl kürzesten Auftritt des Festivals hinlegten. Nur 30 Minuten dauerte diese Körperartistik und war in jeder Minute eine Wucht. Dabei begann ihre Darbietung auf einem Wellpappenboden im intimen Zelt auf dem Tbilisser Platz ziemlich komatös. Schlaff wie eine Stoffpuppe liegt Justine anfangs quer über dem Schoß des am Boden sitzenden Frédéri, der ihre Hände anstupst, wie um zu testen, ob sie lebt. Immer wilder und rabiater werden die „Jugend-forscht“-Versuche des Akrobaten, seine kleine Partnerin zu Reaktionen zu provozieren. Er zieht sie am Arm, am Bein, dass man um ihre Gelenke fürchtet, packt sie am Hals, schleudert ihren Körper in alle Richtungen, schmeißt sich die Hüfte um seinen Körper. Vermeintlich willenlos lässt Justine alles mit sich geschehen. Raffiniert spielt dieses Duo mit unseren Erwartungen: Während wir noch meinen, das alte Klischee von der Frau als formbarer Masse des Mannes vorgesetzt zu bekommen, verschieben die beiden allmählich die Kräfteverhältnisse. Nun ist sie es, die ihn piesackt, sich an ihn heran schmeißt, ihn in Windeseile besteigt wie einen Berg oder auf seiner Schulter herumreitet wie ein wüster Tartar. 30 kurze Minuten langt staunt man als Zuschauer voller Angstlust, was die Zwei alles mit ihren Körpern anzustellen vermögen, wie souverän sie mit Flieh-, Zug- und Schwerkraft und Kraftumleitungen spielen. Man ahnt, wie viel Vertrauen nötig ist, um sich dem anderen so zu überlassen.