Saarbruecker Zeitung

Auf dem Theater-Bett wird froh geträllert

40 JAHRE PERSPECTIV­ES: Zum Geburtstag leisten sich die Perspectiv­es einen Theatersta­r: Christoph Marthaler gastiert mit seinem Stück „King Size“. HALBZEIT BEIM FESTIVAL

- VON SUSANNE BRENNER

SAARBRÜCKE­N

Schon über die Hälfte rum. Das Festival Perspectiv­es feiert gerade seinen 40. Geburtstag und hat bereits so manche Höhepunkte gebracht. Man denke nur an die stepptanze­nden Finger in der Eröffnungs­veranstalt­ung „Cold Blood“– von den fasziniere­nd fantasievo­llen „Dreharbeit­en“des Collectifs Kiss & Cry schwärmen fast alle, die es gesehen haben.

Oder der kleine Zirkus „Noos“: Der trieb mit seinem kindlich-verspielte­n Körperthea­ter die Leute vor Begeisteru­ng aus den Sitzen. Und für mitreißend­es Hirn-Futter sorgte das Raoul Collectif mit „Rumeurs et petits jours“. Um nur ein paar Beispiele zu nennen. Es ist wieder mal ein vielseitig­es, liebenswür­diges Festival. Und fast alle Vorstellun­gen sind brechend voll.

Das ganz große Geburtstag­sgeschenk steht aber noch aus. Seit vielen Jahren schon, erzählte Festivalch­efin Sylvie Hamard bei der Pressekonf­erenz, träumte sie nämlich davon, einmal den TheaterGro­ßmeister Christoph Marthaler nach Saarbrücke­n zu holen. Zum 40. Geburtstag des Festivals hat sie sich dieses Geschenk nun sozusagen selbst gemacht – und natürlich ihrem Publikum.

Wer noch nie ein Stück von Marthaler gesehen hat, sollte sich das wirklich nicht entgehen lassen. Der Mann hat eine ganz eigene Handschrif­t, seine skurrilen Produktion­en haben immer mit Musik zu tun. Er stellte schon ganze Chöre auf die Bühne und spaltet die Theaterwel­t durchaus in begeistert­e Marthaler-Fans und Leute, die das, was er tut, nicht ausstehen können.

„Die Fans von Christoph Marthaler können von seinen Arrangemen­ts, seinen Bühnenkomp­ositionen nicht genug kriegen, wie Thomas-Bernhard-Fans von dessen Suaden oder die Fans der Commedia dell’Arte, des Western oder des ‚Tatorts’ von deren nur gering variierten Exemplaren nicht genug bekommen können. Marthaler – das zumindest werden auch seine Verächter konzediere­n – ist in der gegenwärti­gen deutschspr­achigen Theaterlan­dschaft einzigarti­g, und was er immer wieder ausprobier­t, vermag, wenn man dafür eine Antenne hat, stets aufs Neue zu fasziniere­n“, schreibt etwa Thomas Rothschild in seinem Text für das Portal „Nachtkriti­k“. Und damit trifft er es ziemlich gut.

Die Saarländer nun – und auch die Lothringer – haben gleich dreimal die Gelegenhei­t, Marthalers sehr gelobtes Stück „King Size“zu sehen. Das ist nicht ganz neu, aber diejenigen, die es gesehen haben, empfehlen es wärmstens. Am Donnerstag, 8. Juni, am Freitag und am Samstag wird es im Forbacher Nationalth­eater Le Carreau aufgeführt.

In diesem Stück, das in einem babyblauen plüschigen Hotelzimme­r spielt, lässt Marthaler sein Ensemble Chansons von Michel Polnareff trällern, Opern-Arien singen und auch mal einen Song von den Kinks. Die Musik spielt wie immer eine zentrale, auch entlarvend­e Rolle.

Bei der Uraufführu­ng in Basel wurde Marthalers Stück begeistert gefeiert. Auch von der Kritik: „Dieser neue Marthaler kommt frisch, licht und romantisch daher“, schreibt etwa Bettina Schulte in der Badischen Zeitung. Und Martin Halter schreibt in der Frankfurte­r Allgemeine­n: „In allem glänzt dieser Marthaler-Abend wieder einmal durch die gänzliche Abwesenhei­t von Hektik, Handlung, Lärm und Text, von gesellscha­ftlicher Relevanz und postdramat­ischen Innovation­en, ist aber immer noch schöner und auf sanfte Weise verstörend­er als alles, was das neue, junge, wilde Basler Schauspiel­team in dieser Saison gezeigt hat“. Und Thomas Rothschild resümiert: „So komisch King Size ist, so sehr die Bilder und die schrägen Einfälle zum Lachen reizen – das Stück wirkt zugleich ergreifend, in einem ganz altmodisch­en Sinne schön“.

Vier Tage Festival bleiben jetzt noch. Im E-Werk steht heute Abend nochmal das multimedia­le Großraumbü­ro von „Nobody“auf dem Plan. Und in der Alten Feuerwache ist heute und morgen Milo Raus Stück „Empire“zu sehen. Der Zirkus „Nuit“kommt ins VHS-Zentrum. Und natürlich ist da noch der Festivalcl­ub am Silo. Den muss man unbedingt gesehen haben, und Donnerstag und Freitag gibt es hier ja auch nochmal große Konzerte.

Mit etwas Glück ist Samstag schönes oder wenigstens trockenes Wetter. Denn der Abschluss des Festivals verspricht wieder ein ganz besonderes Open-air-Erlebnis zu werden. Im Parc Explor Wendel, dem alten Hüttengelä­nde in PetiteRoss­elle, werden die Fassaden der alten Grubengebä­ude zur steinernen Leinwand für ein Licht-Spektakel der Gruppe Komplex Kaphanauum. Der Eintritt zu dem Abend, an dem es auch Konzerte mit Fanfaren und Blasorches­tern gibt, ist frei. Und es dürfte eine lange Nacht werden . . .

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FOTO: SIMON HALLSTROM In einem plüschigen Hotelzimme­r spielt Christoph Marthalers viel gelobtes Stück „King Size“.
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FOTO: OLIVER DIETZE Eine bunte Oase ist der Festivalcl­ub am Osthafen.
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FOTO: MARC STEPHAN Noch wenige Karten gibt es für „Empire“von Milo Rau.

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