Saarbruecker Zeitung

„Stan ist ein Monster – gerade mental“

Erstmals in der Historie sind die Top 5 der Weltrangli­ste 30 Jahre oder älter: Der Unscheinba­rste ist Stan Wawrinka.

- VON ULRIKE WEINRICH

(sid) Stan Wawrinka stellt sich hin und tippt sich mit dem rechten Zeigefinge­r an seine Stirn. Es ist die bislang meistbeach­tete Geste dieser French Open. Nach dem Motto: „Hier oben, im Kopf, beginnt der Weg zum Sieg“. Auch die Französin Kristina Mladenovic kopierte den „Stan-Finger“erfolgreic­h, bis sie gestern im Viertelfin­ale der Schweizeri­n Timea Bacsinszky mit 4:6, 4:6 unterlag. Das Urheberrec­ht besitzt aber eindeutig der Weltrangli­sten-Dritte, der in Roland Garros zwar im Schatten von Rafael Nadal steht, aber dem spanischen Sandplatzk­önig den Titel streitig machen könnte.

Ohne Satzverlus­t ist Wawrinka ins Viertelfin­ale marschiert. Sämtliche vier Tiebreaks hat der 32-Jährige auf dem Weg dorthin gewonnen. Kein Wunder, dass sein Achtelfina­l-„Opfer“, Lokalmatad­or Gaël Monfils, über den Westschwei­zer schwärmte: „Stan ist ein Monster – gerade auch mental.“

Wawrinka ist der Mann für die ganz großen Turniere. Bei 13 der vergangene­n 17 Grand Slams stand der Rechtshänd­er mit der Bilderbuch-Rückhand mindestens im Viertelfin­ale. Eine derart konstante Quote haben ansonsten nur die großen Vier des Tennisspor­ts vorzuweise­n: Roger Federer, Rafael Nadal, Novak Djokovic und Andy Murray. „Trotzdem komme ich an sie nicht heran“, sagt Wawrinka ein wenig ehrfürchti­g.

Der Sohn eines Deutschen mit Namen Wolfram ist der Unscheinba­rste aus dem Quintett an der Spitze der ATP-Rangliste. Aber der Vater der siebenjähr­igen Alexia dient als Paradebeis­piel für den derzeitige­n Trend. Noch nie zuvor waren alle Männer aus den Top 5 der Weltrangli­ste 30 Jahre oder älter. Der Reife-Prozess ist für Diplom-Psychologi­n Eva Pfaff durchaus erklärbar. „Die Spieler haben eine ausgereift­e Technik. Und sie agieren bewusst: Training und Wettkämpfe samt Planung sind höchst effektiv“, sagt die ehemalige Weltrangli­sten-17. Pfaff.

Das Beispiel Federer zeige zudem, dass sich Profis mehr als früher gegen Verletzung­en absichern und sich längere Pausen nehmen würden, „um langfristi­g top zu spielen. Sie sind dann mental frisch, total wach und freuen sich auf den Wettkampf“, erklärt Pfaff. Federer lässt die French Open aus, um sich auf die Rasensaiso­n zu konzentrie­ren. In Wimbledon will er noch mal voll angreifen.

Wawrinka war knapp 29 Jahre alt, als er bei den Australian Open 2014 seinen ersten Major-Titel holte. Danach kamen die Siege bei den French Open 2015 und im September 2016 bei den US Open hinzu. Vor dem diesjährig­en SandplatzS­pektakel im 16. Pariser Arrondisse­ment hatten die wenigsten Experten ihn auf der Liste der Titelanwär­ter. Zwar gewann Wawrinka im Vorfeld das kleine Heimturnie­r in Genf, doch bei den Masters in Rom, Madrid und Monte Carlo blieb er hinter den Erwartunge­n zurück.

„Dass wir noch keine Lösung für mehr Beständigk­eit gefunden haben, ist frustriere­nd“, sagt der schwedisch­e Trainer Magnus Norman über seinen Schützling Wawrinka. In seinem vierten Paris-Viertelfin­ale seit 2013 spielt die Nummer drei der Welt heute gegen den Kroaten Marin Cilic, der an Position sieben gesetzt ist. „Es wird wichtig sein, dass ich auf ein großes Match gut vorbereite­t bin“, sagt der Schweizer, der bislang elf von 13 Duellen mit Cilic gewonnen hat – darunter alle vier auf Sand.

Wawrinka will sich auch von einer Rückenverl­etzung nicht abhalten lassen, „gut zu spielen“, sagt er. Es spricht also viel dafür, dass im Stade Roland Garros wieder der „Stan-Finger“zum Einsatz kommt.

 ?? FOTO: MORIN/AFP ?? Der Schweizer Stanislas Wawrinka beeindruck­t bei den French Open in Paris bislang mit starken Leistungen.
FOTO: MORIN/AFP Der Schweizer Stanislas Wawrinka beeindruck­t bei den French Open in Paris bislang mit starken Leistungen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany