Saarbruecker Zeitung

Das kannst Du knicken

Zwischen Wissenscha­ft und Kunst: Origami erfährt bei Forschern und Entwickler­n plötzlich große Aufmerksam­keit.

- VON MARTIN SCHÄFER

Robert Lang faltete Origami schon mit 18 Jahren. Seither kam der heute 56-jährige Physiker und Weltraumfo­rscher der USRaumfahr­tagentur Nasa immer wieder damit in Berührung. Heute zählt der US-Amerikaner Lang zu den wichtigste­n Origamikün­stlern – für viele ist er ein Vorbild. Er ist aber auch der Wegbereite­r des computerge­stützten Faltens. Diese Wissenscha­ft geht davon aus, dass im Prinzip jede beliebige Form aus einem Stück Papier gefalten werden kann. Das wird bereits für Computerpr­ogramme genutzt, die aus einem 3D-Modell einen Faltplan für Origamipap­ier kreieren.

„Wir falten mit einem simplen, unbeschnit­tenen Stück Papier los“, erklärt Lang. Das klassische Papier misst 15 mal 15 Zentimeter. Schere und Klebstoff sind bei Puristen verpönt. Doch es gibt auch Ableger des klassische­n Origami, wo mit einem Schnitt erst die Figur entsteht, oder Klebstoff zum Fixieren oder Stabilisie­ren genutzt wird. Weitere Teilbereic­he sind das Nassfalten (Wetfolding), das modulare Origami aus mehreren gleichen Modulen, das Action Origami mit bewegliche­n Teilen und das sogenannte Crumpling, wo die Figur durch Zusammenkn­üllen entsteht.

Zu den künstleris­chen Vätern des Origami zählt der Japaner Akira Yoshizawa, der zehntausen­de Modelle faltete. Wichtiger ist allerdings, dass er sich als Erster darum bemühte, eine Beschreibu­ngssprache für die Falttechni­k zu entwickeln. „Das ist das Schöne an Origami: Die Menschen lernen miteinande­r und teilen die Modelle untereinan­der“, erklärt Lang. Dazu müssen sie dann auch kommunizie­ren. In rund 18 Schritten lässt sich so beispielsw­eise die klassische Origami-Figur des Kranichs falten. In der mathematis­chen Formelspra­che lassen sich diese Regeln übernehmen und als Rechenvors­chriften in Computern nutzen. So können Computer aus Modellen Faltregeln und Faltpläne errechnen.

Lang erinnert gern an die sogenannte­n „Bug-Wars“der 1990er Jahre. Damals ging es darum, wer das schönste und detaillier­teste Insekt falten konnte. Also nicht nur einen Insektenkö­rper mit sechs Beinen, sondern Antennen darauf, das alles noch segmentier­t und als i-Tüpfelchen kleine Warzen auf Panzern und Beinen.

Im Prinzip verläuft die Erzeugung eines Origamimod­ells am Computer so: Vom Zielobjekt wird zunächst eine grobe Strichzeic­hnung mit den Hauptsegme­nten des Gegenstand­s abgeleitet. „Das ist ziemlich einfach“, erklärt Lang. Dann werden um diese Segmente und an den Verbindung­en weitere Faltungen berechnet, was deutlich aufwändige­r ist. Das Ergebnis ist schließlic­h ein Faltplan, um das Modell zu basteln.

Lang entwickelt­e vor zwei Jahrzehnte­n eines der ersten OrigamiCom­puterprogr­amme namens „Tree Maker“. Mittlerwei­le gibt es viele solcher Programme. Als größte Herausford­erung sieht Lang heute indes das Falten von runden Objekten, etwa eine Blüte oder eine Vase. Denn eigentlich kann Origami durch das Knicken gerader Linien kaum runde Objekte erzielen. Der einstige Nasa-Forscher setzt sich auch für technische Anwendunge­n des Origami ein. Überall, wo etwas auf kleinem Raum transporti­ert oder verpackt wird, um sich später zu entfalten, kann Origami eine Rolle spielen. So entwickelt beispielsw­eise die Nasa ein Sonnensege­l mit einem Durchmesse­r von 25 Metern, das in seiner Transportr­akete auf kleinste Abmessunge­n gefaltet sein muss.

Entscheide­nd ist später im All, wie sich aus der maximal verdichtet­en Faltung dann wieder das Sonnensege­l entfaltet. Dafür können Materialie­n zum Beispiel so vorgespann­t werden, dass sie sich selbst in die gewünschte Form bringen. Den im Armaturenb­rett eines Autos auf kleinstem Raum verpackten Airbag bringt dagegen ein kleiner Sprengsatz bei einem Unfall in seine lebensrett­ende Form. Andere Beispiele sind sogenannte Stents, die in der Herzchirur­gie verwendet werden, um verstopfte Arterien zuerst aufzudehne­n und danach offen zu halten. Auch Kunstlinse­n, die bei der Operation des Grauen Stars ins Auge eingesetzt werden, werden erst dort aufgefalte­t.

Andere Forscher nehmen sich die Natur zum Vorbild. Genau hingeschau­t hat zum Beispiel Hendrik Dietz von der TU München. In unseren Körperzell­en spielt die Faltung von Molekülen eine entscheide­nde Rolle. Eiweiße (Proteine) und die Erbsubstan­z DNA sind eigentlich kettenförm­ig. Als Kette liegen diese Moleküle in der Zelle aber nie vor. Sie falten sich zu dreidimens­ionalen Gebilden. Das Bild eines Wollknäuel­s kommt dem recht nahe. Von dieser Faltung hängt ganz entscheide­nd die korrekte Funktion des Moleküls ab.

Um die Erbinforma­tion abzulesen, muss das Knäuel aufgedröse­lt werden. Sind die Moleküle falsch gefaltet, kann dies zu Krankheite­n führen. Das Team um Dietz versucht nun, mit den Grundprinz­ipien der molekulare­n Faltung neue Bausteine zu konstruier­en. Die Wissenscha­ft und Technik dieser Forschung wird als DNA-Origami bezeichnet. Ein Forschungs­ziel ist es dabei beispielsw­eise, mit dieser Technik kleinste Nanomaschi­nen zu konstruier­en.

Der Informatik­er Erik Demaine vom Massachuse­tts Institute of Technology (MIT) in den USA will hingegen per Laser Metallblec­he strukturie­ren, um daraus unter anderem Roboter falten zu können. Der Informatik­er denkt dabei nicht an eine Serienprod­uktion von FaltRobote­rn, sondern versteht das Verfahren als Spielmögli­chkeit für Ingenieure, die eine neue Idee zusammenfa­lten wollen.

„Das ist das Schöne an Origami: Die Menschen lernen miteinande­r und teilen die Modelle

untereinan­der.“

Robert Lang,

Origami-Spezialist

 ?? GRAFIK: ELLA MARU STUDIO & DIETZ LAB / TUM ?? Beim sogenannte­n DNA-Origami versuchen Molekularb­iologen, das Molekül der Erbinforma­tion (DNA), das hier grau gefärbt ist, mit sogenannte­n Klammerpro­teinen (bunt) in Form zu bringen. Mit dieser Technik sollen künftig einmal winzige Nanomaschi­nen gebaut...
GRAFIK: ELLA MARU STUDIO & DIETZ LAB / TUM Beim sogenannte­n DNA-Origami versuchen Molekularb­iologen, das Molekül der Erbinforma­tion (DNA), das hier grau gefärbt ist, mit sogenannte­n Klammerpro­teinen (bunt) in Form zu bringen. Mit dieser Technik sollen künftig einmal winzige Nanomaschi­nen gebaut...
 ?? FOTO: MATHEMATIK­UM ?? Diese Figur einer Gottesanbe­terin, die im Mathematik­um Gießen ausgestell­t ist, faltete der Origami-Künstlers Bodo Haag.
FOTO: MATHEMATIK­UM Diese Figur einer Gottesanbe­terin, die im Mathematik­um Gießen ausgestell­t ist, faltete der Origami-Künstlers Bodo Haag.

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