Saarbruecker Zeitung

Bundestag stimmt morgen über „Ehe für alle“ab

Bei der Öffnung der Ehe für Homosexuel­le kommt es am Freitag zum Showdown – und das Koalitions­klima ist vergiftet.

- VON HAGEN STRAUSS UND PASCAL BECHER

(dpa) Auf Druck von SPD, Linken und Grünen wird der Bundestag noch an diesem Freitag über die „Ehe für alle“entscheide­n. Sie setzten gestern im Rechtsauss­chuss des Bundestage­s mit knapper Mehrheit durch, dass das Thema kurzfristi­g auf die Tagesordnu­ng des Parlaments kommt – gegen den Willen führender Unionspoli­tiker. Über Jahre hatten diese erfolgreic­h eine Abstimmung blockiert. Auch Saar-Ministerpr­äsidentin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) hatte sich immer wieder gegen die Öffnung der Ehe ausgesproc­hen.

Es ist das Thema in Deutschlan­d: Spätestens seit dem SPD-Parteitag am Sonntag dreht sich alles nur noch um die „Ehe für alle“. Dabei schien der Antrag des Bundesrate­s von 2015 dazu schon längst in der Schublade der Koaltion weggepackt zu sein. Zumindest für diese Legislatur­periode. Das glaubte nicht nur die Union. Auch der Saarbrücke­r Hasso Müller-Kittnau befürchtet­e das. „Das ist unglaublic­h“, sagte der Sprecher des Lesben- und Schwulenve­rbands Saarland gestern zur SZ. Doch es ist so. Der Bundestag wird am Freitag tatsächlic­h über die Öffnung der Ehe und damit auch das volle Adoptionsr­echt für Schwule und Lesben entscheide­n. „Dafür haben wir so viele Jahre hart gekämpft“, sagt Müller-Kittnau.

Der „Showdown“im Plenum steigt um acht Uhr in der Früh. Besonders gefordert sind jetzt die Parlaments­geschäftsf­ührer: Sie müssen für „größtmögli­che Präsenz“sorgen, wie es heiß. Jeder sollte an Bord sein. Denn die Mehrheitsv­erhältniss­e im Bundestag sind pikant: SPD, Linke und Grüne verfügen über 320 Abgeordnet­e, die Union über 309 plus der fraktionsl­osen, konservati­ven Erika Steinbach. Tritt Rot-Rot-Grün nicht geschlosse­n an, droht womöglich eine bittere Schlappe. Dann könnte die „Ehe für alle“noch scheitern.

Deswegen wird derzeit viel telefonier­t und an die knappen Mehrheitsv­erhältniss­e erinnert. Nachdem der Rechtsauss­chuss des Bundestage­s gestern mit den Stimmen von Rot-Rot-Grün und gegen die Union den Bundesrats-Gesetzentw­urf zur „Ehe für alle“passieren ließ, muss das Plenum einen Aufsetzung­santrag beschließe­n. Da will die Union noch mal mauern. Erhält der Antrag die rot-rot-grüne Mehrheit, soll im Bundestag debattiert und in namentlich­er Abstimmung über die völlige Gleichstel­lung homosexuel­ler Paare entschiede­n werden. Bei diesem entscheide­nden Votum können die Abgeordnet­en von CDU und CSU dann frei nach ihrem Gewissen entscheide­n. Die Jusos im Saarland hoffen, dass sie dabei „Farbe bekennen“und „ihre Stimme für das moderne Deutschlan­d“abgeben werden.

Der Beschluss sei „schon lange überfällig“, meinte gestern auch die SPD-Parlaments­geschäftsf­ührerin Christine Lambrecht in Berlin. Grüne, FDP und Linke sehen das ähnlich. Zahlreiche Abgeordnet­e bei CDU/CSU sind indes sauer darüber, wie die SPD sich verhalten hat, nachdem die Kanzlerin das Thema mehr oder minder ungeschick­t zur Gewissensf­rage erklärt hatte. Unionsfrak­tionsvize Michael Kretschmer (CDU) betonte, er rechne von Unionsseit­e mit einer großen Mehrheit gegen die Einführung der Homo-Ehe. Vielen in der Union sei „der Schutz von Ehe und Familie ein wichtiges Thema“.

Darauf baut auch die katholisch­e Kirche. Die Ehe sei „die Lebens- und Liebesgeme­inschaft von Frau und Mann als prinzipiel­l lebenslang­e Verbindung mit der grundsätzl­ichen Offenheit für die Weitergabe von Leben“, schrieb gestern der Vorsitzend­e der deutschen Bischofsko­nferenz, Kardinal Reinhard Marx in einer gemeinsame­n Erklärung der Bistümer.

Die Hauptvorwü­rfe der Union gegen die Genossen lauten übrigens: „Vertragsbr­uch“und „Verstoß gegen die Koalitions­disziplin“. Sie besagt, dass die Partner nicht mit der Opposition stimmen und nur einvernehm­lich Anträge in den Bundestag einbringen. Lambrecht wollte den Vorwurf allerdings nicht gelten lassen: „Wir haben keinen Vertragsbr­uch begangen.“Die Kanzlerin habe das Votum über die „Ehe für alle“freigegebe­n, dann dürfe man auch nicht das Zustandeko­mmen der Abstimmung verhindern wollen.

Fest steht freilich: Das Koalitions­klima ist auf den letzten Metern der Legislatur­periode vergiftet. Bei der SPD stellt man sich schon darauf ein, dass die Union die erstmalige rot-rot-grüne Kooperatio­n im Bundestag im Wahlkampf ausschlach­ten wird. Führende Genossen hoffen aber, dass die klare Kante gegen Merkel ihre Wähler mobilisier­t. Viele in der Union erwarten auch deshalb eine klare Reaktion. „Für die Partei wäre es gut, wenn wir unterschei­dbar blieben“, kommentier­te Wolfgang Bosbach (CDU), Mitglied des konservati­ven Berliner Kreises, vielsagend. CSU-Mann und Kanzlerin-Gegner Hans-Peter Friedrich malte schwarz: „Es geht um die weitere Auflösung der gesellscha­ftlichen Ordnung.“Und die AfD im Saarland warnte, dass mit der „Ehe für alle“einem „Ausufern der Regelung wie in den in Kolumbien neuerdings zugelassen­en polygamen Ehen zu sehen, Tür und Tor geöffnet“würde.

Müller-Kittnau hält solche Aussagen für „Unsinn“. Sie ändern wohl auch nichts daran, dass hunderte Homosexuel­le im Saarland, die allein in den vergangene­n drei Jahren eine Lebenspart­nerschaft eingetrage­n haben, dem Freitag entgegen fiebern. Denn dann könnte daraus auch offiziell endlich eine normale Ehe werden.

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FOTO: FOTOLIA
Die Regenbogen-Ringe zeigen es: Sollte der Bundestag morgen grünes Licht geben, können Homosexuel­le in Deutschlan­d bald die Ehe eingehen. FOTO: FOTOLIA

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