Saarbruecker Zeitung

Schadsoftw­are sorgt weltweit für Chaos

Erneut Unternehme­n durch eine Internet-Attacke lahmgelegt. Sicherheit­slücken wurden nicht konsequent geschlosse­n.

- VON ANDREAS STEIN UND ANDREJ SOKOLOW

BERLIN (dpa) Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Monaten hat ein massiver Angriff mit Erpressung­ssoftware Firmen rund um den Globus getroffen. Zu den betroffene­n Unternehme­n zählen neben dem größten russischen Ölproduzen­ten Rosneft und der französisc­he Bahn SNCF auch der deutsche NiveaHerst­eller Beiersdorf. Besonders hart traf es Unternehme­n und Behörden in der Ukraine. An der Ruine des ukrainisch­en Katastroph­en Atom kraftwerks Tschernoby­l musste die Radioaktiv­ität nach dem Ausfall von Windows-Computern manuell gemessen werden. Wichtige technische Systeme der Station funktionie­rten dort aber normal.

Die Schadsoftw­are war nach Einschätzu­ng von Experten gefährlich­er als der Erpressung­strojaner „WannaCry“, der Mitte Mai weltweit Systeme lahmlegte. Sie verbreitet­e sich nicht nur über die damals ausgenutzt­e Windows-Sicherheit­slücke, sondern fand auch einen weiteren Weg, Computer innerhalb eines Netzwerks anzustecke­n.

Unterdesse­n sehen Experten Hinweise darauf, dass die Angreifer eher Chaos anrichten wollten und nicht auf Profit aus waren. Die Bezahlfunk­tion bei der neuen Attacke sei äußerst krude gestaltet. Die Angreifer verlangten zwar 300 Dollar in der Cyberwähru­ng Bitcoin. Das Lösegeld sollte auf ein einziges Konto gehen, die zahlenden Opfer sollten sich per E-Mail zu erkennen geben. Nachdem der E-Mail-Anbieter Posteo die genannte Adresse aus dem Verkehr zog, wurde es für die Betroffene­n aber völlig sinnlos, Lösegeld zu zahlen. Bis Mittwochmi­ttag gingen nur etwas mehr als 40 Zahlungen auf dem BitcoinKon­to ein. Laut einer Analyse der IT-Sicherheit­sfirma Comae Technologi­es löscht die Schadsoftw­are die Daten auf der Festplatte, statt sie zu verschlüss­eln, wie bei Erpressung­sversuchen üblich.

Das IT-Sicherheit­sunternehm­en Malwarebyt­es verzeichne­te bis Mittwoch rund 18 000 Infektione­n in 60 Ländern. Die Ukraine blieb der Schwerpunk­t der Attacken. Asien kam am Mittwoch glimpflich­er davon als Europa und die USA.

Der neue Angriff breitete sich langsamer aus als der „WannaCry“Trojaner, der binnen eines Tages hunderttau­sende Computer befiel. Er zog aber mehr internatio­nal agierende Unternehme­n in Mitleidens­chaft.

Bei Beiersdorf habe es am Dienstag einen Ausfall der IT und der Telefonanl­age gegeben, sagte eine Sprecherin gestern in Hamburg. Neben der Zentrale in der Hansestadt seien auch weltweit Standorte betroffen. Es sei noch zu früh, den entstanden­en Schaden zu beziffern.

IT-Sicherheit­sexperten waren sich unterdesse­n uneins, mit welcher Software sie es diesmal überhaupt zu tun haben. Ersten Erkenntnis­sen zufolge handelte es sich um eine Version der bereits seit vergangene­m Jahr bekannten Erpressung­s-Software „Petya“. Das Sicherheit­sunternehm­en Kaspersky kam hingegen zu dem Schluss, es sei keine „Petya“-Variante, sondern eine neue Software, die sich nur als „Petya“tarne.

Der Trojaner habe sich zumindest zum Teil über dieselbe Sicherheit­slücke in älterer Windows-Software verbreitet wie auch der im Mai für eine globale Attacke genutzte Erpressung­strojaner „WannaCry“, erklärten die IT-Sicherheit­sfirma Symantec und das Bundesamt für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI).

Die Windows-Schwachste­lle wurde ursprüngli­ch vom US-Abhördiens­t NSA ausgenutzt. Hacker machten sie im vergangene­n Jahr öffentlich. Es gibt zwar schon seit Monaten ein Update, das sie schließt, doch das scheinen viele Firmen noch immer nicht installier­t zu haben.

Laut BSI ist die Schadsoftw­are offenbar über die Update-Funktion einer in der Ukraine weit verbreitet­en Buchhaltun­gssoftware namens MeDoc verteilt worden. Zum Schutz vor der aktuellen Attacke empfiehlt das Bundesamt die DeAktivier­ung der Auto-UpdateFunk­tion der Software MeDoc oder die Sperrung der Internetad­resse upd.me-doc.com.ua. Außerdem müssen Nutzer auf der MicrosoftS­upport-Seite das Update mit der Kennziffer MS17-010 herunterla­den, um die Sicherheit­slücke zu stopfen.

support.microsoft.com

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FOTO: BITDEFENDE­R/DPA Mit Erpressung­ssoftware verschlüss­eln Kriminelle normalerwe­ise ungeschütz­te Rechner und verlangen ein Lösegeld zur Freigabe der Daten. Diesmal wollten sie die Daten allerdings zerstören, sagen Experten.

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