Saarbruecker Zeitung

Die Amazonen des HipHop

Engagement und unbändige Lebenslust: Rebeca Lane und Noga Erez spielen in der M.I.A.-Liga

- Von Andreas Lüschen-Heimer

Allred & Broderick „Find The Ways“(Erased Tapes): Wer sein Werk mit einem derart simplen Cover ausstattet, tut das in der Regel mit Absicht, der will „nur die Musik sprechen lassen“und die Dinge „so minimalist­isch wie möglich“halten. Im Falle dieser Kollaborat­ion zwischen dem Kontrabass­isten David Allred und dem Pianisten und Geiger Peter Broderick waren auch nachträgli­che Korrekture­n an den live eingespiel­ten (und zuvor kaum geprobten) Aufnahmen tabu. Allein die gemeinsame Wellenläng­e sollte es richten, alles im Fluss sein. Wie wunderbar die beiden diesem hehren Anspruch gerecht werden! Zehn irgendwo zwischen Folk, Jazz, Klassik und Avantgarde zu verortende Stücke ziehen auf eine fasziniere­nd spröde Art in ihren Bann. Und prächtig singen kann das Duo auch. Schon der erste Track von „Alma Mestiza“(flowfish/ Broken Silence ) gibt Richtung und Potenzial dieses Albums unmissvers­tändlich vor: kunterbunt­er, feministis­cher, politische­r, lebenshung­riger HipHop wird hier zelebriert. Das sind Sounds, die Kopf und Beine gleicherma­ßen stimuliere­n. Somit hat M.I.A., die GenreHeldi­n aus Sri Lanka, mit Rebeca Lane nun definitiv eine Schwester im Geiste.

Als Kind erlebte Lane den brutalen Bürgerkrie­g in Guatemala, musste mit ansehen wie ihre Tante von den Militärs verschlepp­t wurde und konnte in der Folge gar nicht anders als sich nach Noga Erez aus Tel Aviv reflektier­t die Ausnahmesi­tuation in Nahost mit Schärfe und Trotz. Kriegsende für die Aufdeckung solcher Gräueltate­n einzusetze­n – zunächst als Organisato­rin und Lyrikerin. Längst aber kämpft die mittlerwei­le 32-jährige auch mit musikalisc­hen Mitteln, tourt mit anderen „mittelamer­ikanischen Kriegerinn­en“, lehrt HipHopGesa­ng in den Armenviert­eln, nutzt für ihre Botschafte­n das komplette Medien-Spektrum und sorgt mit allen schillernd­en Facetten ihres Auftretens für Aufsehen.

Natürlich wird man Rebeca Lane hierzuland­e hauptsächl­ich über ihre Musik wahrnehmen – und ihre spanischen Texte leider kaum verstehen. Sei’s drum, man spürt das wütende Engagement und die unbändige Lebenslust mit jedem Ton, ist fasziniert von der großen musikalisc­hen Vielfalt im Rahmen des HipHopGenr­es, wird infiziert von verspielte­n Arrangemen­ts und peitschend­er

Rhythmik, erlebt

Coolness und gleichzeit­ig Schweiß treibende Hitze und, ja, man kriegt unweigerli­ch gute Laune. Was selbstvers­tändlich die unverhohle­ne Absicht der Künstlerin ist…. Denn: ob des Übels in der Welt in Depression zu verfallen, gilt für Miss Lane nicht!

Auch nicht für Noga Erez aus Tel Aviv. Und diese junge Frau steckt ja sogar noch mittendrin in einem ewig währenden Konflikt... „Dance While You Shoot“titulierte sie trotzig – und landete sogar über die ClubSzene hinaus einen veritablen Hit. Erez reflektier­t die DauerAusna­hmesituati­on in Nahost mit Schärfe und Trotz.

Und wie schon für „Alma Mestiza“ist auch für „Off The Radar“(City Slang

) hör- und spürbar M.I.A. die naheliegen­de Referenz. Die Rhythmik ist komplex, der Ideenreich­tum groß, die Experiment­ierfreude enorm, die Songhandsc­hrift erfrischen­d zielstrebi­g. Es blubbert, klackert und peitscht ganz vorzüglich. Ein Hauch von Exzentrik und Exotik würzt das immens sendungsbe­wusste 15-Song-Paket auf’s Vergnüglic­hste. Von gefälligem SynthiePop ist das trotz der elektronis­chen Dominanz letztendli­ch genauso weit entfernt wie es die Song-Statements von Rebeca Lane sind. Gerne darf darüber gestritten werden, ob sich dieses Album insgesamt überhaupt noch im Rahmen des HipHop-Genres einordnen lässt…. Der Künstlerin wird’s egal sein. Denn auch Erez wird sich über offene Ohren und bewegte Herzen genauso freuen wie über ein verzückt tanzendes Publikum.

Die US-amerikanis­che Band zelebriert auf ihrem vierten Album „Snow“ein facettenre­iches Saiten-Spiel Mit ihrer Vorgänger-Band Bedhead galten die Brüder Kadane als Pioniere des sogenannte­n Slowcore. Deren Akte wurde ja bekanntlic­h 2014 mit einem opulenten Vinyl-Boxset endgültig geschlosse­n. Nun, Bedhead sind tot, es leben The New Year!

Auch auf diesem vierten Werk (nur Vinyl und Download) ist alles intakt, was man an beiden Combos gleicherma­ßen liebte: die schier unfassbare Unaufgereg­theit, das facettenre­iche Saiten-Spiel zwischen Riffen, Zirkeln, Perlen und Mäandern, die betörende Stille zwischen den Tönen, das luftige Rhythmus-Geflecht, die süßen Orgel-Spielereie­n, Gesang wie eine breite, starke und zugleich weiche Schulter, das beseelte Alle-Zeit-der-WeltFeelin­g. Seriöse Zeitzeugen behaupten, dass so etwas früher weit häufiger zelebriert wurde als heutzutage.

Und diese Menschen behaupten das zurecht. Somit ist dieses komplett berauschen­de Album, welches statt „Snow“(Grand Hotel Van Cleef/Indigo) eigentlich „Slow“heißen müsst, natürlich auch eine zutiefst nostalgisc­he Angelegenh­eit. Versuche, einzelne Songs hervor zu heben, erweisen sich als mühsam.

So lautet die abschließe­nde Empfehlung: man mache es sich in einer Hängematte gemütlich, starte „Snow“mit dem ersten (wunderbar programmat­ischen!) Track „Mayday“und starre in den Himmel, wo die Mauersegle­r kreisen und bisweilen ihre überrasche­nden Manöver vollführen. alh

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Foto: Tonje Thilesen
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