Die Amazonen des HipHop
Engagement und unbändige Lebenslust: Rebeca Lane und Noga Erez spielen in der M.I.A.-Liga
Allred & Broderick „Find The Ways“(Erased Tapes): Wer sein Werk mit einem derart simplen Cover ausstattet, tut das in der Regel mit Absicht, der will „nur die Musik sprechen lassen“und die Dinge „so minimalistisch wie möglich“halten. Im Falle dieser Kollaboration zwischen dem Kontrabassisten David Allred und dem Pianisten und Geiger Peter Broderick waren auch nachträgliche Korrekturen an den live eingespielten (und zuvor kaum geprobten) Aufnahmen tabu. Allein die gemeinsame Wellenlänge sollte es richten, alles im Fluss sein. Wie wunderbar die beiden diesem hehren Anspruch gerecht werden! Zehn irgendwo zwischen Folk, Jazz, Klassik und Avantgarde zu verortende Stücke ziehen auf eine faszinierend spröde Art in ihren Bann. Und prächtig singen kann das Duo auch. Schon der erste Track von „Alma Mestiza“(flowfish/ Broken Silence ) gibt Richtung und Potenzial dieses Albums unmissverständlich vor: kunterbunter, feministischer, politischer, lebenshungriger HipHop wird hier zelebriert. Das sind Sounds, die Kopf und Beine gleichermaßen stimulieren. Somit hat M.I.A., die GenreHeldin aus Sri Lanka, mit Rebeca Lane nun definitiv eine Schwester im Geiste.
Als Kind erlebte Lane den brutalen Bürgerkrieg in Guatemala, musste mit ansehen wie ihre Tante von den Militärs verschleppt wurde und konnte in der Folge gar nicht anders als sich nach Noga Erez aus Tel Aviv reflektiert die Ausnahmesituation in Nahost mit Schärfe und Trotz. Kriegsende für die Aufdeckung solcher Gräueltaten einzusetzen – zunächst als Organisatorin und Lyrikerin. Längst aber kämpft die mittlerweile 32-jährige auch mit musikalischen Mitteln, tourt mit anderen „mittelamerikanischen Kriegerinnen“, lehrt HipHopGesang in den Armenvierteln, nutzt für ihre Botschaften das komplette Medien-Spektrum und sorgt mit allen schillernden Facetten ihres Auftretens für Aufsehen.
Natürlich wird man Rebeca Lane hierzulande hauptsächlich über ihre Musik wahrnehmen – und ihre spanischen Texte leider kaum verstehen. Sei’s drum, man spürt das wütende Engagement und die unbändige Lebenslust mit jedem Ton, ist fasziniert von der großen musikalischen Vielfalt im Rahmen des HipHopGenres, wird infiziert von verspielten Arrangements und peitschender
Rhythmik, erlebt
Coolness und gleichzeitig Schweiß treibende Hitze und, ja, man kriegt unweigerlich gute Laune. Was selbstverständlich die unverhohlene Absicht der Künstlerin ist…. Denn: ob des Übels in der Welt in Depression zu verfallen, gilt für Miss Lane nicht!
Auch nicht für Noga Erez aus Tel Aviv. Und diese junge Frau steckt ja sogar noch mittendrin in einem ewig währenden Konflikt... „Dance While You Shoot“titulierte sie trotzig – und landete sogar über die ClubSzene hinaus einen veritablen Hit. Erez reflektiert die DauerAusnahmesituation in Nahost mit Schärfe und Trotz.
Und wie schon für „Alma Mestiza“ist auch für „Off The Radar“(City Slang
) hör- und spürbar M.I.A. die naheliegende Referenz. Die Rhythmik ist komplex, der Ideenreichtum groß, die Experimentierfreude enorm, die Songhandschrift erfrischend zielstrebig. Es blubbert, klackert und peitscht ganz vorzüglich. Ein Hauch von Exzentrik und Exotik würzt das immens sendungsbewusste 15-Song-Paket auf’s Vergnüglichste. Von gefälligem SynthiePop ist das trotz der elektronischen Dominanz letztendlich genauso weit entfernt wie es die Song-Statements von Rebeca Lane sind. Gerne darf darüber gestritten werden, ob sich dieses Album insgesamt überhaupt noch im Rahmen des HipHop-Genres einordnen lässt…. Der Künstlerin wird’s egal sein. Denn auch Erez wird sich über offene Ohren und bewegte Herzen genauso freuen wie über ein verzückt tanzendes Publikum.
Die US-amerikanische Band zelebriert auf ihrem vierten Album „Snow“ein facettenreiches Saiten-Spiel Mit ihrer Vorgänger-Band Bedhead galten die Brüder Kadane als Pioniere des sogenannten Slowcore. Deren Akte wurde ja bekanntlich 2014 mit einem opulenten Vinyl-Boxset endgültig geschlossen. Nun, Bedhead sind tot, es leben The New Year!
Auch auf diesem vierten Werk (nur Vinyl und Download) ist alles intakt, was man an beiden Combos gleichermaßen liebte: die schier unfassbare Unaufgeregtheit, das facettenreiche Saiten-Spiel zwischen Riffen, Zirkeln, Perlen und Mäandern, die betörende Stille zwischen den Tönen, das luftige Rhythmus-Geflecht, die süßen Orgel-Spielereien, Gesang wie eine breite, starke und zugleich weiche Schulter, das beseelte Alle-Zeit-der-WeltFeeling. Seriöse Zeitzeugen behaupten, dass so etwas früher weit häufiger zelebriert wurde als heutzutage.
Und diese Menschen behaupten das zurecht. Somit ist dieses komplett berauschende Album, welches statt „Snow“(Grand Hotel Van Cleef/Indigo) eigentlich „Slow“heißen müsst, natürlich auch eine zutiefst nostalgische Angelegenheit. Versuche, einzelne Songs hervor zu heben, erweisen sich als mühsam.
So lautet die abschließende Empfehlung: man mache es sich in einer Hängematte gemütlich, starte „Snow“mit dem ersten (wunderbar programmatischen!) Track „Mayday“und starre in den Himmel, wo die Mauersegler kreisen und bisweilen ihre überraschenden Manöver vollführen. alh