Wilder Ritt bis in die 80er
Kraftklub liefern auf ihrem neuen Album „Keine Nacht für Niemand“jede Menge popmusikalische Querverweise
Es würde sich reflexartig anbieten, die Chemnitzer Band Kraftklub dafür zu kritisieren, dass sie mit dem Titel ihres neuen Albums „Keine Nacht Für Niemand“(Universal) das linkspolitische musikalische Manifest von Ton Steine Scherben verunglimpft. Aber das führte zu weit, denn Kraftklub ist gewiss keine kopflose Band, die sich für keinen Scherz zu schade ist. Dass sie „Keine Macht Für Niemand“in „Keine Nacht Für Niemand“abgewandelt haben, ist ebenso unterhaltsam wie es die vielen geschickt eingepflegten popmusikalischen Querverweise sind.
Kraftklub verlinken sich nämlich nicht nur mit Ton Steine Scherben. Der Refrain des Antidrogen-Ohrwurms „Chemie Chemie Ya“ist eine Referenz an „Shimmy Shimmy Ya“, den ’95er Hit des verstorbenen WuTang Clan-Mitglieds Ol’ Dirty Bastard. Bis zurück in die Achtziger, genauer gesagt in die Zeit der Neuen Deutschen Welle, geht es in „Sklave“. „Codo“von D.Ö.F. lässt grüßen – und im Refrain („Lass mich dein Sklave sein“) noch der Ärzte-Song „Bitte Bitte“. Andere Kritiker wollen hier eine Kombi aus Rammstein und Depeche Mode herausgehört haben. Aber Rammstein standen im Schlussteil des Schweinerock-Liedes „Liebe Zu Dritt“Pate.
In dem Trennungsschmerzlied „Am Ende“, in dem die Zeilen „Ganz egal woran ich gerade denke / Am Ende denk’ ich nur an dich“aus dem Element Of CrimeSong „Am Ende denk’ ich nur an dich“entlehnt wurden, gastiert deren Sänger Sven Regner kurz nachdem der Rock der Queens Of The Stone Age Einzug gehalten hat. Ein weiterer prominenter Gast ist Farin Urlaub: in der ironischen Alles-istschlechtOde „Fenster“.
Kraftklub geben – je nach Standpunkt – nur einen Anlass zur Kritik: Vor der Veröffentlichung des Albums entbrannte eine Diskussion über die naive Verwendung des Wortes „Hure“in der Auskopplung „Dein Lied“. Felix Brummer schrieb den Text aus Sicht „eines Typen, der seiner Ex-Freundin die schlimmste Beleidigung hinterherschreit, die ihm halt einfällt“, wie er im Interview mit dem „Musikexpress“klarstellte. Er schlüpfe in den Songs eben in andere, neue Rollen und schreibe nicht wie auf den vorherigen Alben aus Sicht der Band.
Alles hat aber seine zwei Seiten. Auf der einen steht die von Brummer thematisierte „Entmenschlichung durch Schimpfwörter“; auf der anderen ist da die Gefahr, dass einige testosterongeschwängerte, alkoholisierte Herren diesen Text fehldeuten und aus dem Song eine dumpfe, proletenhafte Mitgröl-Hymne machen könnten. Letzteres war keineswegs im Sinne des Texters. Fehlte Brummer nur Feingefühl oder reagieren wir in unserer politischen Korrektheit über? Diese Diskussion wird noch weitergehen, doch sie wird das Vergnügen, „Keine Nacht Für Niemand“zu hören, nicht merklich mindern.
Big Boi, das frühere Outcast-Mitglied, frönt auf seinem dritten Solo-Album „Boomiverse“dem G-Funk An die Großartigkeit von Outcast kommt keiner der beiden Herren solo ran. 2006 erschien das bis dato letzte Album des Duos. André 3000 wie auch Big Boi traten seitdem zwar ab und an zusammen auf, aber davon ab macht jeder sein Ding.
„Boomiverse“(Epic/Sony Music) heißt das aktuelle, dritte Soloalbum von Big Boi. Sein Outcast-Kollege hat nicht daran mitgewirkt. Dafür aber die Gäste Kurupt, Snoop Dogg, Killer Mike (Run The Jewels) und Adam Levine von Maroon 5.
Die Hauptattraktion ist natürlich Big Boi selbst, dessen Reime und Raps und dessen Flow wieder sehr gelungen sind – nachzuhören in dem lässigen „Order Of Operations“und dem poppigen Ohrwurm „All Night“. Beide Songs schrieb er gänzlich alleine.
Die besten „Boomiverse“-Momente sind die, wenn er mit Snoop Dogg in „Get Wit It“oder mit Gucci Mane und Pimp C in „In The South“dem G-Funk frönt oder sich eben seiner eigentlichen Berufung, dem HipHop, widmet: siehe „Da Next Day“, „Kill Jill“(mit Jeezy und Killer Mike) und „Made Man“. Wenn er sich wie in „Mic Jack“(mit Adam Levine), „Chocolate“und „Freakanomics“auf die Tanzfläche begibt, klingt das zwar nicht schlecht, wird seinem Talent aber nicht gerecht. kfb
The Wholls „The Wholls“(Sony Music): Angeblich spricht derzeit alle Welt über The Whools. Den jungen Briten mit italienischen Wurzeln wird gar eine „glanzvolle Zukunft“zugetraut. Das zumindest weiß die Plattenfirma. Deren Euphorie kann nur eingeschränkt geteilt werden. Ja, ihre Songs sind eingängig. The Wholls, was laut Band übrigens „dicke Eier“bedeutet, lassen mit ihren schmetternden GitarrenRockhymnen eben ihre Muskeln spielen und machen einen auf dicke Hose. Berechtigterweise war bereits von Vergleichen mit den Arctic Monkeys zu lesen („Take Jimi“); auch Querverweise zum Nu Metal sind auf ihrem Debüt herauszuhören („Angy Faces“). Das ist ganz gut gemacht, aber das nächste große Ding klingt sicherlich anders.