Saarbruecker Zeitung

Vaterrolle entdeckt

Neu im Kino: „Wilson der Weltverbes­serer“

- Von Gisela Ostwald

Wer ist dieser Wilson? Ein verschrobe­ner Typ in mittleren Jahren, ein Weltverbes­serer, der die Welt nicht mehr versteht. Seinen Unmut gibt Wilson kund, ungefragt und ungefilter­t, ob auf der Straße oder am Urinal einer öffentlich­en Toilette.

Der amerikanis­che Cartoonist Daniel Clowes („Ghost World“) schuf die Figur 2010 in seinem ComicRoman „Wilson“. US-Regisseur Craig Johnson adaptierte das Buch nun zum Komödiendr­ama mit einem hochkaräti­gen Woody Harrelson (Foto: Fox) als Protagonis­ten. Clowes grafischer Roman besticht mit seinem scharfen, oft dunklen Humor. Der Film ist dagegen seichter. Er startet als Satire, verliert sich dann aber in Melodramat­ik.

Allerdings landete Johnson mit seiner Besetzung der Hauptrolle einen Volltreffe­r. Woody Harrelson, der als Haymitch Abernathy in „Die Tribute von Panem“punktete, überzeugt als skurriler Außenseite­r Wilson. Ihm gelingt es, Sympathie für den Kauz zu wecken. Die erste Hälfte des Films zeigt Wilson, von Büchern umgeben und mit seinem geliebten Terrier Pepper an der Seite. Einsam und frustriert verschafft er sich Luft mit verbalen Attacken auf Fremde. Doch dann erfährt er, dass er eine 17-jährige Tochter hat. Er beginnt, von einer Familie zu träumen. Ärgerlich ist, dass Regisseur Johnson den Film in Melodramat­ik absickern lässt. Wilson ist so von der Vaterrolle erfüllt, dass er alle Torturen mit einem TeflonLäch­eln hinnimmt. Vergessen ist die Streitlust vergangene­r Tage. Das i-Tüpfelchen dieser Seichtheit liefern schließlic­h die Schlusssze­nen: Statt die Scherben seines Handelns aufsammeln zu müssen, endet der Film für Wilson äußerst sanft. (USA 2017, 94 Min., Regie: Craig Johnson ) Harrelson als Wilson. Ereignisse, von denen diese Dokumentat­ion berichtet, sind wahr. Aber nicht einmal der mutigste DisneyAuto­r hätte mit einem solchen Drehbuch einen Blumentopf gewinnen können. Man hätte ihn der maßlosen Übertreibu­ng bezichtigt.

Owen Suskind wird in eine glückliche und wohlsituie­rte Familie hineingebo­ren. Als der Junge drei Jahre alt ist, entwickelt er sich nicht weiter. Seine Motorik verschlech­tert sich zusehends, seine Sprache verwandelt sich in Gebrabbel und verstummt schließlic­h ganz. Owen meidet jeglichen Augenkonka­kt. Ein Spezialist diagnostiz­iert Autismus.

Es gibt nur eine Sache, die Owen noch mit dieser Welt in Verbindung zu halten scheint: Das gemeinsame Anschauen von Disney-Filmen mit seinem Bruder. Tatsächlic­h meinen die Eltern eines Tages, eine kurze DiaDie Owen Suskind ist bereits im Kindesalte­r an Autismus erkrankt. logpassage aus seinem Mund zu vernehmen. Aber die Experten zerstören ihre Illusion. Es handele sich nur um ein Echo aus längst vergangene­n Tagen. Dann geschieht das Unfassbare. Owen spricht plötzlich einen zusammenhä­ngenden Satz. Wieder mit Disney-Bezug. Der Vater streift sich eine Handpuppe aus „Aladdin“über und stellt ihm Fragen. Und er antwortet mit den passenden Zitaten aus seinen Lieblingsf­ilmen. Der schwierige Weg zurück ins Leben hat begonnen.

Zum Zeitpunkt der Dreharbeit­en ist Owen 23 und wirkt sichtlich gern an dem Film mit. Er hat seinen Schulabsch­luss gemacht und zieht in seine erste Wohnung. Und er ist verliebt. Bei den Zusammenkü­nften seines Disney-Clubs sind sogar echte Synchronsp­rechern zu Gast. Der Zuschauer kann dem Geschehen nur gebannt und verblüfft folgen. Einzig die Passagen, die Owen und seine Freundin zeigen, wirken mitunter ein wenig voyeuristi­sch und hinterlass­en ein zwiespälti­ges Gefühl.

Regisseur Roger Ross Williams montiert Filmmateri­al der Familie mit aktuellen, eigenen Aufnahmen, Sequenzen aus Disney-Werken und stimmungsv­ollen Animatione­n. Der Film war in diesem Jahr völlig zu Recht für einen Oscar als „Bester Dokumentar­film“nominiert. Niemand wird diesen jungen Mann und sein Schicksal jemals wieder vergessen können. (USA 2015, 91 Minuten, Camera Zwo Sb, Regie: Roger Ross Williams)

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