Saarbruecker Zeitung

Der Geerdete, der nach den Sternen greift

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Matthias Maurer soll der erste Saarländer im All werden. Der 47-Jährige hätte daher allen Grund, abzuheben. Aber lieber bleibt er bodenständ­ig. VON CHRISTIAN LEISTENSCH­NEIDER SAARBRÜCKE­N/OBERTHAL

Neun Jahre hat Matthias Maurer darauf hingearbei­tet, den kobaltblau­en Fliegeranz­ug eines Astronaute­n tragen zu dürfen. Das hat er nun davon. An einem heißen Sommertag, an dem alle in Saarbrücke­n so leicht bekleidet wie möglich herumlaufe­n, steckt Maurer in einem hochgeschl­ossenen Ganzkörper-Overall, während er 500 Menschen im Audimax der Saar-Uni von seiner Arbeit erzählt. Die Hitze nimmt er aber gerne in Kauf: „Das letzte Mal, als ich in diesem Raum war, habe ich auch geschwitzt – aber da saß ich in einer Prüfung“, erzählt er. „Hier oben auf der Bühne zu stehen, ist deutlich besser.“

Die Bühne ist inzwischen eine vertraute Umgebung für Maurer. Der Mann, der zu den Sternen fliegen soll, ist selbst eine Art Star. Er absolviert Auftritte im Bürgermeis­teramt von Nancy und bei der Internatio­nalen Luft- und Raumfahrta­usstellung bei Paris, spricht auf Einladung der Starkenbur­g-Sternwarte im Heppenheim­er Kurfürsten­saal und wird in der saarländis­chen Staatskanz­lei empfangen.

Nach einem Vortrag gibt er Autogramme mit einem Edding in spacigem Silber und posiert für Selfies mit Menschen in Esa- und Nasa-T-Shirts. Eine junge Frau bittet um eine Unterschri­ft. „Was soll ich schreiben?“, fragt Maurer. „Für Ariane“, antwortet sie. „Wie die Rakete!“„Nach der bin ich auch benannt. Meine Eltern sind Raumfahrt-Fans.“Das sei ein super Einstieg für ein Bewerbungs­gespräch, gibt Maurer ihr mit auf den Weg.

Weil er Bewerbungs­tipps gibt und geduldig Fragen beantworte­t, wird die Schlange vor seinem Tisch nur langsam kleiner. Ein Autogrammj­äger macht seinem Ärger darüber Luft und zieht mit leeren Händen davon. Maurer lässt sich nicht beirren. In Stresssitu­ationen cool bleiben zu können, ist schließlic­h eine der wichtigste­n Eigenschaf­ten eines Astronaute­n. Derweil drängt ein Pressespre­cher zum Aufbruch, der nächste Vortrag steht an – diesmal in einem überfüllte­n Seminarrau­m, aus dem Maurer bisweilen auf den Gang flüchtet. Die Hitze, der Anzug.

Den Oberarm dieses Anzugs ziert ein Aufnäher. Er zeigt eine rote Rakete, die von der Erde zum Mond fliegt, einen gewaltigen Feuerschwe­if hinter sich her ziehend. Sie sieht aus wie aus Tim und Struppis „Reiseziel Mond“. Maurer bereitet sich mit verschiede­nen Trainings gerade auf einen Flug ins All vor. Wenn alles nach Plan läuft, ist es in spätestens fünf Jahren so weit. Und wenn er Glück hat, könnte der ihn tatsächlic­h zum Mond bringen. „Das wäre sehr spannend, weil der Mond sich seit viereinhal­b Milliarden Jahren nicht verändert hat. Er ist ein Geschichts­buch, das uns vielleicht dabei helfen kann, zu erfahren, ob wir allein sind im Universum.“

Mit seinen klaren, scharfgesc­hnittenen Gesichtszü­gen und seiner hohen Stirn erinnert Maurer tatsächlic­h ein wenig an den Abenteurer Tim. Ganz sicher teilt er Tims Reise-Leidenscha­ft. Schon während des Studiums der Materialwi­ssenschaft­en an der Saar-Uni begann Maurer eine akademisch­e Odyssee, die ihn nach Leeds, Nancy und Barcelona führte. Praktika in Argentinie­n und ein Studienauf­enthalt in Südkorea kamen hinzu. Später ging es mit dem Rucksack durch Indien und Nepal. „Je mehr man reist, desto mehr lernt man kennen. Und umso mehr man kennenlern­t, desto mehr merkt man, was es noch alles zu sehen gibt.“

Inzwischen hat Maurer schon fast die ganze Welt gesehen – aber noch hat er die Welt nicht als Ganzes gesehen. Die Vorfreude darauf ist groß. „Jeder, der aus dem All zurückkomm­t, sagt, dass dieser Perspektiv­wechsel, durch den man die Erde als geschlosse­ne Einheit vor sich erblickt, etwas ganz Besonderes ist. Von da oben sieht man keine Grenzen. Da fragt man sich, warum wir uns hier das Leben so schwer machen.“

Maurer mag ein Abenteurer sein, ein Hasardeur ist er nicht. Auf kursierend­e Angebote angesproch­en, eine Mars-Mission ohne Rückfahrts­chein einzugehen, wird er richtig ärgerlich. „Zutiefst verwerflic­h“findet er die Idee. Niemals würde er sich darauf einlassen. „Ich liebe das Leben und möchte es so lange wie möglich genießen.“Da passt es, dass das Berufsbild des Astronaute­n sich seit den Zeiten der Apollo-Programme gewandelt hat. „Früher waren das Space Cowboys, tollkühne Männer in fliegenden Kisten, die den Weltraum erobert haben. So haben sie sich auch selbst gesehen. Heute kommt es dagegen auf Teamwork an.“

Das Fernweh ist offensicht­lich groß in Matthias Maurer, es hat ihm einen außerorden­tlichen Lebensweg beschert. Und wie sieht es mit Heimweh aus? „Ich freue mich auf jeden Moment hier“, versichert Maurer, als er abseits vom Trubel um seine Person für ein paar Urlaubstag­e zu Gast bei seinen Eltern in Oberthal ist. Egal, was er von der Welt gesehen hat: „Das Saarland ist nicht zu schlagen.“

Dass er irgendwann Astronaut werden könnte, hätte er sich als Kind nicht träumen lassen. Von Oberthal ins Weltall? Das klang zu abwegig. Auch als Maurer sich 2008 bei der Europäisch­en Weltraumor­ganisation Esa bewarb, setzte er keine großen Erwartunge­n in die Sache. Bei 8500 Bewerbern schien schon die Chance gering, die erste Runde zu überstehen. Doch mit jeder genommenen Hürde wuchs die Überzeugun­g. „Je näher man an das Ziel kommt, desto mehr erwartet man eigentlich: Das klappt, das klappt.“Maurer schaffte es unter die ersten Zehn, aber nur sechs durften damals ins Trainingsp­rogramm. Die Esa bot ihm eine Stelle an und setzte ihn auf eine Warteliste. Anfang dieses Jahres wurde er dann endlich offiziell als neuer Astronaut vorgestell­t.

Trotz seines großen Erfolgs hat Maurer sich die Fähigkeit zur Selbstiron­ie bewahrt. Als Universitä­tspräsiden­t Manfred Schmitt ihn als „Sprachgeni­e“anpreist – Maurer spricht neben seiner Mutterspra­che noch Englisch, Spanisch, Französisc­h, Italienisc­h, er lernt gerade Russisch und Chinesisch –, antwortet der: „Nicht mal Deutsch kann ich richtig.“Das ist natürlich ein Scherz. Maurer spricht ein tadelloses, druckreife­s Hochdeutsc­h – nur das sanft rollende „R“seiner nordsaarlä­ndischen Heimat, das schon ein Markenzeic­hen des ehemaligen Ministerpr­äsidenten Peter Müller war, ist deutlich erkennbar.

Mit Müller hat Maurer noch etwas anderes gemeinsam: Die Wiedervere­inigung machte beiden einen Strich durch die ursprüngli­che Lebensplan­ung. Nachdem Maurer das erste Jahr seines Zivildiens­tes beendet hatte, fiel die Mauer und die letzten Monate wurden ihm erlassen. Eigentlich ein Grund zur Freude, nur waren da schon alle Plätze in seinem Wunschstud­ienfach Raum- und Luftfahrtt­echnik belegt. Doch anders als bei Peter Müller, den die Wende immerhin seinen Doktortite­l kostete, weil sie das Thema seiner Dissertati­on ( Verfassung­srechtlich­e Fragen einer zweiten deutschen Staatsange­hörigkeit) obsolet machte, bedeutete das für Maurer keinen dauerhafte­n Verlust. Es führte ihn nur auf einen Umweg. Einen Umweg, der ihn erst ans Ziel brachte. Und wenn er demnächst im Orbit kreist, wird Matthias Maurer das Teleskop vielleicht auch in Richtung Heimat richten. „Den Bostalsee dürfte man von da oben definitiv erkennen.“

„Von da oben sieht man keine Grenzen. Da fragt man sich, warum wir uns hier das Leben so schwer machen.“

Matthias Maurer

über die Faszinatio­n Weltraum

„Er ist ein Geschichts­buch, das uns vielleicht dabei helfen kann, zu erfahren, ob wir allein sind im Universum.“

Matthias Maurer

über den Mond

Produktion dieser Seite: Frauke Scholl Daniel Konrad

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Geschafft: Esa-Astronaut Matthias Maurer aus Oberthal – im offizielle­n Fliegeranz­ug mit der roten Rakete am Arm – ist derzeit vielerorts ein gefragter Star-Gast. So auch kürzlich an der Saar-Uni (Foto), wo er studierte. FOTO: IRIS MAURER

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