Saarbruecker Zeitung

EM-Glücksgefü­hle bei Kuntz dauern weiter an

Der Neunkirche­r fühlt sich als U21-Nationaltr­ainer pudelwohl. Den EM-Titel sieht er als Produkt eines unglaublic­hen Zusammenha­lts.

- VON MARK WEISHAUPT

Bundestrai­ner Stefan Kuntz spürt auch vier Wochen nach dem Triumph mit den deutschen U21-Fußballern immer noch eine „innere Zufriedenh­eit“, wie er bei seinem Besuch in der SZ-Sportredak­tion gestern verriet.

Viel bessere Laune als Stefan Kuntz kann man nicht verbreiten. Das ist auch kein Kunststück, schließlic­h spürt der 54-Jährige immer noch jeden Tag dieses Glücksgefü­hl, mit der deutschen U21 Fußball-Europameis­ter geworden zu sein. Gut vier Wochen ist es jetzt her, dass er als Bundestrai­ner mit den „Jungen Wilden“des Deutschen Fußball-Bundes im EM-Finale in Krakau 1:0 gegen das favorisier­te Spanien gewann. Kuntz hat viel erlebt als Spieler, Trainer, Funktionär – aber „das ist etwas, das lange anhält“, erzählt der Neunkirche­r beim SZ-Redaktions­besuch: „Ich habe eine innere Zufriedenh­eit.“

Diese Zufriedenh­eit speist sich nicht nur aus dem Titelgewin­n, sondern liegt auch in der Art und Weise begründet, wie dieser Triumph zustande kam. Gerade hat Kuntz im Urlaub sich noch einmal das Finale in Ruhe angeschaut, später den Spielern, die aus Altersgrün­den in der nächsten U21-Auswahl nicht mehr mit von der Partie sein können, Sprachnach­richten aufs Handy geschickt. „Alle haben geantworte­t“, sagt Kuntz voller Stolz.

Dieses Gemeinscha­ftsgefühl trug die Mannschaft bei der EM vor allem im letzten Gruppenspi­el gegen Italien, als die Deutschen 0:1 verloren und trotzdem weiterkame­n. „Das war der Knackpunkt“, sagt Kuntz: „Die Jungs waren richtig sauer, weil sie zum einen nicht so gut gespielt haben und zum anderen hilflos waren, weil wir auch auf das Ergebnis des anderen Gruppenspi­els angewiesen waren. Als wir es dann doch geschafft haben, wusste ich, dass es weit gehen kann.“Die Euphorie des anschließe­nden Halbfinals­iegs im Elfmetersc­hießen gegen England trug das Team mit zum Sieg gegen Spanien, und Kuntz trug auch mit erfrischen­den Interviews zur guten Stimmung bei. Die U21 wollte „die Herzen der Menschen erreichen“, sagt Kuntz – und das hatten sie geschafft. Auch dank ihres Trainers, der die Authentizi­tät vorlebt.

Seinen Fußball-Lehrer-Schein hat Kuntz schon seit Ewigkeiten. Im Frühjahr 2000 absolviert­e er mit alten Weggefährt­en aus der Fußball-Nationalma­nnschaft wie Jürgen Klinsmann, Matthias Sammer oder Jürgen Kohler einen „Sonderlehr­gang“. Mit dabei war auch Joachim Löw, heute seines Zeichens Weltmeiste­r-Trainer. Löw blieb damals direkt im Trainerges­chäft, Kuntz probierte es nur gut drei Jahre bei Borussia Neunkirche­n, dem Karlsruher SC, Waldhof Manheim und LR Ahlen (bis November 2003). Nach einer Auszeit beschloss er, „nie mehr Trainer“sein zu wollen. „Dieser Satz hängt mir bis heute nach“, sagt Kuntz und wehrt sich: „Das ist jetzt 14 Jahre her. Da kann man seine Meinung schon mal ändern. Davon ab habe ich immer auf dem Platz gestanden bei den Vereinen, bei denen ich tätig war.“

Kuntz wurde Funktionär – erst Manager bei Regionalli­gist TuS Koblenz (2005), dann beim damaligen Bundesligi­sten VfL Bochum (2006 bis 2008), schließlic­h Vorstandsv­orsitzende­r beim 1. FC Kaiserslau­tern. Bei allen Stationen hat er viel gelernt, was ihm jetzt beim Unternehme­n Titelgewin­n geholfen hat. „Du musst Menschen führen, sie packen, die Herzen der Menschen erreichen“, sagt Kuntz. Oft fällt das Wort „Zusammenha­lt“. Seine „Jungs“packte er mit einer direkten Ansprache. „Ich habe ihnen von Anfang an gesagt: Ihr könnt mit mir über alles reden – aber ihr müsst reden“, erzählt Kuntz. Dabei räumt er nebenbei mit dem weit verbreitet­en Klischee des verwöhnten Jungprofis auf, der nur sein prall gefülltes Bankkonto im Kopf hat. „Ganz und gar nicht, das hat mich auch überrascht“, erzählt Kuntz: „Wenn du mit 19 eine Million verdienst, kaufst du deine Jeans halt nicht bei H&M. Die Jungs haben heute aber keinerlei Rückzugsmö­glichkeit. Sobald die die Haustür aufmachen, werden sie erkannt. Da muss man sich schon ein bisschen in die Jungs reinverset­zen. Die sind nie allein – nur wenn sie zuhause die Tür zumachen.“Oder halt eben an einem spielfreie­n Wochenende zum Shoppen nach Mailand fliegen, ohne erkannt zu werden.

Dass Kuntz nach der Erfolgsges­chichte von Polen die „neue“U21 in die EM-Qualifikat­ion führen wird, steht außer Zweifel. Zwar hat er noch keinen neuen Vertrag unterzeich­net, aber „wir hatten schon ganz gute Vorgespräc­he“, sagt Kuntz. In den nächsten Wochen sollen die Gespräche finalisier­t werden. „Der Austausch mit Joachim Löw ist stetig, und er ist gut“, sagt Kuntz. Mit Bundestorw­arttrainer Andreas Köpke und Team-Manager Oliver Bierhoff hat Kuntz zusammen gekickt, mit ihnen den letzten EM-Titel 1996 bei den „Großen“geholt. Bei einem Treffen zum 20-jährigen Jubiläum im vergangene­n Jahr war denn auch die Idee mit Kuntz als U21-Chef und Nachfolger von Horst Hrubesch gereift – kein Fehler, wie der Titel in Polen beweist. Oder wie es Kuntz mit einem Grinsen formuliert: „Wenn du gewinnst, hast du sowieso alles richtig gemacht.“

Am 5. September beginnt die neue EM-Qualifikat­ionsrunde für die U21 mit dem Spiel in Osnabrück gegen den Kosovo. Kuntz steht schon jetzt im Austausch mit seinem Team, mit Bundesliga-Trainern, mit künftigen Spielern, schaut sich viele Spiele an. Den kommenden Neuaufbau sieht er als große Herausford­erung an. „Du musst wahnsinnig flexibel sein, gerade weil vieles so kurzfristi­g passiert“, sagt Kuntz: „Das macht es spannend ohne Ende.“Ein paar Tage vor dem Spiel wird er seine neue U21 zum Lehrgang begrüßen und mit ihnen auf dem Rasen arbeiten, worauf er sich besonders freut: „Auf dem Platz ist es am einfachste­n, zu 100 Prozent Stefan Kuntz zu sein“. Gute Laune inbegriffe­n.

„Auf dem Platz ist es am einfachste­n,

zu 100 Prozent Stefan Kuntz zu sein.“

Stefan Kuntz

U21-Bundestrai­ner

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FOTO: DIETZE Stefan Kuntz schwärmt beim Besuch in der SZ-Sportredak­tion vom Titelgewin­n mit der U21 bei der EM in Polen.

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