Saarbruecker Zeitung

In Berlin startet die Gesichtser­kennung bei Bahn-Reisenden

- VON ANDREAS RABENSTEIN Produktion dieser Seite: Robby Lorenz, Frauke Scholl Nina Drokur

(dpa) „Big brother is watching you“, heißt es in George Orwells berühmtem Überwachun­gsroman „1984“. Passende oder unpassende Parallelen zwischen Buch und echter Welt sind schon dutzendfac­h beschriebe­n worden. Trotzdem fällt beim Thema Videoüberw­achung und Gesichtser­kennung schnell der Name des 1950 gestorbene­n Schriftste­llers. Es geht um Kameras, die Bilder in hochmodern­e Computerpr­ogramme einspeisen, die wiederum einzelne Gesichter und Menschen erkennen. Polizeibeh­örden und Geheimdien­ste lieben so etwas, Datenschüt­zer und Anti-Überwachun­gsinitiati­ven sind entsetzt. Bundesregi­erung und Bundespoli­zei testen jetzt, was technisch geht.

Heute beginnt im Berliner Bahnhof Südkreuz ein realitätsn­aher Versuch, der sechs Monate andauern und zeigen soll, ob Kameras und Software brauchbare Ergebnisse liefern. Beteiligt sind Bundespoli­zei, Bundeskrim­inalamt, Bahn und Bundesinne­nministeri­um.

Drei neue Kameras hängen künftig in dem großen Fern- und S-Bahnhof, 250 bis 300 freiwillig­e Testperson­en haben ihre Namen und zwei Fotos ihres Gesichts speichern lassen. Die erste Kamera filmt an drei Türen die eintretend­en Menschen, die zweite Kamera filmt sie beim Verlassen des Gebäudes, die dritte beobachtet eine Rolltreppe. Die freiwillig­en Teilnehmer, meist Pendler, die häufig im Bahnhof sind, sollen den entspreche­nden Ein- und Ausgang und die Rolltreppe nutzen. Sie tragen einen Transponde­r, eine Art kleinen Sender. Die Computer im Bahnhof registrier­en, wenn der Tester auftaucht.

Die Frage für die Polizei ist: Erkennen Kameras und Computer die Menschen ebenfalls nur anhand ihres Gesichts? Läuft das System auch im Sommer, wenn Menschen Sonnenbril­len tragen? Oder im Winter, wenn Gesichter von Mützen und Schals verdeckt sind? „Wir wollen das unter normalen Bedingunge­n testen“, sagt ein Sprecher der Bundespoli­zei. „Die Tester können auch einen Hut oder Fahrradhel­m tragen oder etwas kleiner sein und in der Menge verschwind­en.“

Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU) lobte die automatisc­he Gesichtser­kennung bereits als hilfreich. Den Versuch im Bahnhof will er im Lauf der ersten Wochen persönlich begutachte­n. Die Bundespoli­zei begründet den Test mit der Abwehr von Terroriste­n: „Mit dieser Technik könnte es gelingen, Straftaten und Gefahrensi­tuationen im Vorfeld zu erkennen. Mögliche Gefährder könnten vor einem geplanten Anschlag erkannt und dieser verhindert werden.“

Große Vorbehalte hat Deutschlan­ds oberste Datenschüt­zerin Andrea Voßhoff. Der Test sei akzeptabel. Sie habe aber „grundsätzl­iche Bedenken“gegen die Technologi­e. „Sollten derartige Systeme einmal in Echtbetrie­b gehen, wäre dies ein erhebliche­r Grundrecht­seingriff.“Der SPD-Politiker Christophe­r Lauer, früher bei den Piraten Experte für Internet und Datenschut­z, kritisiert: „Der kriminalis­tische Nutzen ist gleich null.“Eine Schirmmütz­e reiche als Schutz für Terroriste­n. Zudem sei das System fehlerhaft.

Die Technik wird immer billiger und besser. Die Bahn baut die Zahl ihrer Kameras „kontinuier­lich aus“. Rund 6000 überwachen demnach mehr als 80 Prozent der Fahrgastst­röme bundesweit. Die Berliner S-Bahn kündigte einen Ausbau der Videoüberw­achung für viele Millionen Euro an. Alle Berliner U-Bahnhöfe und U-Bahnen sowie die meisten Busse und Straßenbah­nen werden bereits videoüberw­acht. Ein Volksbegeh­ren fordert 2500 Kameras auch auf den 50 gefährlich­sten Plätzen und Straßen der Hauptstadt.

Auch weltweit ist flächendec­kende Überwachun­g ein Trend. So setzen etwa China oder arabische Staaten schon lange auf die Kontrolle des gesamten öffentlich­en Lebens. Autofahrer, Fußgänger, Flugpassag­iere, Bahnreisen­de, Passanten beim Einkaufen oder Jogger – alle können gefilmt werden.

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