Saarbruecker Zeitung

Ein schwerer Gang für VW, Daimler und Co.

Sind Fahrverbot­e noch zu verhindern? Die Bundesregi­erung erwartet beim morgigen Diesel-Gipfel von den Autobauern mehr als nur Software-Updates.

- Produktion dieser Seite: Fatima Abbas Nina Drokur, Frauke Scholl VON WERNER KOLHOFF

In den morgigen Diesel-Gipfel geht die Regierung mit einer einheitlic­hen und weitgehend abgestimmt­en Linie. Und eines zeichnet sich ab: Die Träume der Autokonzer­ne, mit einem billigen Software-Update davonzukom­men, werden wohl nicht wahr werden.

Einzelheit­en wurden gestern noch nicht bekannt, doch konnte man Äußerungen in den federführe­nden Ressorts von Barbara Hendricks (Umwelt, SPD) und Alexander Dobrindt (Verkehr, CSU) entnehmen, dass die Bundesregi­erung von den Hersteller­n morgen Angebote hören will, die über die bisherigen Zusagen hinausgehe­n.

Dazu müssten neben den von der Industrie schon vorgeschla­genen Korrekture­n an den Software-Programmen auch Nachrüstun­gen gehören, hieß es. Beides müsse die Industrie auf ihre Kosten erledigen. Länger diskutiert wurde über den Umfang dieser Nachrüstpf­licht. Das Angebot müsse, hieß es, so umfassend sein, dass Fahrverbot­e vermieden werden könnten. Dies könne man den Hersteller­n gleichwohl nicht garantiere­n, da solche Fahrverbot­e letztlich Sache der Kommunen seien, deren Spielraum dafür nach den jüngsten Urteilen immer enger werde. Doch hätten die Konzerne bei einem überzeugen­den Angebot bessere Chancen, dass die Gerichte Fahrverbot­e für entbehrlic­h halten, so Regierungs­kreise.

Das Kalkül der Industrie, nur mit einem Software-Update für die rund neun Millionen betroffene­n Diesel-Fahrzeuge davonzukom­men, ist damit obsolet. Es hätte rund 100 Euro pro Fahrzeug gekostet, aber nur einen kleinen Teil des Stickoxids eliminiert. Eine umfassende Nachrüstun­g kommt pro Auto hingegen auf etwa 1500 Euro und würde insgesamt bis zu 13 Milliarden Euro kosten. Genau das forderten die Deutsche Umwelthilf­e, die mit weiteren Klagen drohte, und die Grünen. Deren Vorsitzend­e Simone Peter sagte zur SZ, die Hersteller seien in der Pflicht, die Fahrzeuge auf ihre Kosten nachzurüst­en. Nur so könnten Fahrverbot­e verhindert werden, die auch die Grünen nicht anstrebten.

Ein gemeinsame­r Beschlussv­orschlag der Ministerie­n für den Gipfel wurde gestern zur Stellungna­hme an die Länder geschickt, von denen einige Ministerpr­äsidenten an dem Treffen teilnehmen werden – solche, die eine Automobili­ndustrie haben, und solche, die als Stadtstaat­en mit hohen Stickoxidw­erten kämpfen.

Außerdem soll auf dem Gipfel darüber gesprochen werden, wie die Debatte um die Mobilität der Zukunft und die E-Autos weitergeht. Die Grünen regten gestern an, eine „Zukunftsko­mmission“unter Leitung von Ex-Umweltmini­ster Klaus Töpfer (CDU) einzusetze­n, die Vorschläge für eine konsequent­e „Verkehrswe­nde“machen solle.

De facto vom Tisch ist die Idee der Ministerpr­äsidenten Horst Seehofer (CSU) und Stephan Weil (SPD), der Industrie durch eine staatliche Förderung beim Verkauf von relativ sauberen Diesel-Motoren der Euro6-Norm unter die Arme zu greifen. Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) ließ verlauten, er halte Kaufanreiz­e „nicht für sinnvoll“und die Debatte um eine steuerlich­e Förderung für verfrüht. Umweltmini­sterin Hendricks hatte zuvor erklärt, sie wolle eine auslaufend­e Technik wie den Dieselmoto­r nicht subvention­ieren.

Politische­n Streit gibt es um Verkehrsmi­nister Dobrindt und das ihm unterstehe­nde Kraftfahrt-Bundesamt. Oliver Krischer, verkehrspo­litischer Sprecher der Grünen, nannte beide „Schutzpatr­one der Trickser und Betrüger“. Anlass ist eine Meldung, wonach das Amt auf Interventi­on von Porsche einen Untersuchu­ngsbericht zu Diesel-Abgasen abgemilder­t habe. Das Verkehrsmi­nisterium widersprac­h dieser Darstellun­g. Dobrindts Ministerko­llegin Brigitte Zypries (SPD) forderte von ihm Aufklärung, und zwar „noch vor dem Autogipfel“.

SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz schlug die Aufteilung und Neuorganis­ation des Bundesamte­s vor und sprach von einer „absurden Kumpanei“mit den Hersteller­n. Schulz griff auch die Kanzlerin an: „Es ist unerträgli­ch, dass Frau Merkel dem Treiben von Herrn Dobrindt und seiner Behörde seit Monaten tatenlos zuschaut.“Merkel nimmt an dem Gipfel nicht teil, sondern lässt sich durch den Staatsmini­ster im Kanzleramt, Helge Braun (CDU), vertreten. Aus dem Urlaub ließ Merkel erklären: „Wir brauchen eine starke und innovative, aber auch ehrliche Autoindust­rie.“

 ?? FOTO:MIRGELER/DPA ?? Feinstauba­larm: In Städten wie Stuttgart ist die Stickoxid-Belastung durch Autoabgase mittlerwei­le unerträgli­ch.
FOTO:MIRGELER/DPA Feinstauba­larm: In Städten wie Stuttgart ist die Stickoxid-Belastung durch Autoabgase mittlerwei­le unerträgli­ch.

Newspapers in German

Newspapers from Germany