Saarbruecker Zeitung

Die olympische Pracht war Lug und Trug

Die Leichtathl­etik kehrt fünf Jahre nach den Sommerspie­len nach London zurück. Dort hatte sie noch ein großartige­s Fest erlebt.

- VON CHRISTOPH LEUCHTENBE­RG

(sid) Es waren unvergesse­ne Momente. Robert Hartings Hürdenspri­nt, Usain Bolts Riesen-Party, der nationale Glücksraus­ch um Mo Farah und Jessica Ennis-Hill: Olympia 2012 war das letzte vermeintli­ch unbeschwer­te Fest der Leichtathl­etik. Wenn die olympische Kernsporta­rt ab Freitag zur WM nach London zurückkehr­t, scheint die Talsohle einer unerhörten Doping-Skandalpha­se gerade erst durchschri­tten. Das Kainsmal der Manipulati­on trug die Leichtathl­etik indes schon vor fünf Jahren auf der Stirn: Die Spiele von London waren bei aller Pracht vor allem Lug und Trug.

„Die Atmospäre war gigantisch, das habe ich noch nicht erlebt. Dass sie um jeden Athleten so einen Trubel gemacht haben, war einzigarti­g“, erinnert sich Stabhochsp­ringer Raphael Holzdeppe vom LAZ Zweibrücke­n, bei den Spielen 2012 mit Bronze einer von acht Medailleng­ewinnern einer grandiosen deutschen Mannschaft.

Das (damals) 80 000 Zuschauer fassende Stadion im Stadtteil Stratford war während der Leichtathl­etik-Wettbewerb­e fast durchgehen­d ausverkauf­t – im Gegensatz zu den folgenden Weltmeiste­rschaften 2013 (Moskau) und 2015 (Peking), vor allem aber zu den müden Nachfolge-Spielen in Rio, als die Arena am Abend halbleer und am Morgen gähnend leer war.

In London hingegen hatte das Publikum für konsequent­e Gänsehaut-Stimmung gesorgt. „Das war der Wahnsinn, diese Momente werde ich für immer behalten“, sagt die britische Siebenkamp­f-Königin Ennis-Hill. Sie wurde auf ihrem Weg zu Gold schon ab dem morgendlic­hen Wettkampf-Beginn von einem Hexenkesse­l begleitet. Ennis-Hill, Harting mit seinem legendären Lauf über die Hürden nach seinem Diskus-Gold, aber auch der zweite britische Superstar Mo Farah – sie brachten das Riesen-Rund zum Kochen. „Es wurde lauter und lauter. Besser wird‘s nicht mehr in meinem Leben“, sagte damals Farah, der zu Gold über 5000 und 10 000 Meter stürmte. Noch lauter war es nur bei Bolts Goldläufen über 100 und 200 Meter. „Das war pure Energie“, findet Jamaikas Superstar noch heute.

Die große Party endete allerdings bald in einem Riesenkate­r: Kugelstoße­rin Nadeschda Ostaptschu­k stellte sich am Tag nach den Spielen als bis unter die Haare mit Anabolika befüllt heraus. Die Weißrussin war ihre Goldmedail­le los – und das nicht als einzige. Denn die Londoner Spiele waren nur vermeintli­ch unbeschwer­t, sie waren unter der glänzenden Oberfläche unfassbar verschmutz­t. Die 1500 Meter der Frauen entpuppten sich als eines der verseuchte­sten Rennen der Geschichte. Vier Finalistin­nen wurden des Dopings überführt, darunter die Türkinnen Asli Cakir Alptekin und Gamze Bulut, die überrasche­nd Gold und Silber geholt hatten.

Im Frauen-Finale über 4x100 Meter liefen alleine sieben Athletinne­n, denen Doping nachgewies­en wurde. Von 53 russischen Finalisten der London-Spiele wurden 29 früher oder später als Betrüger enttarnt – noch im Herbst 2016 verlor Tatjana Lyssenko ihr Hammerwurf-Gold.

Ein Jahr nach London war die WM in Moskau eine post-sowjetisch­e Machtdemon­stration, die Russen holten sechs Titel und insgesamt 15 Medaillen. Der Erfolg fußte, schlicht gesagt, auf gigantisch­em Beschiss. Der McLaren-Report enthüllte systematis­ches Doping in Russland, das seit 2015 suspendier­t ist.

Wenn ab Freitag an der Themse wieder gelaufen, gesprungen und geworfen wird, ist die Krise keineswegs überwunden. Über die Zukunft der Russen könnte in London entschiede­n werden. Und die Zeit von Usain Bolt neigt sich dem Ende. Ein neuer Star wird gesucht, in Sicht ist er (noch) nicht. Die Leichtathl­etik steht an der Themse vor einem Wendepunkt. Wieder einmal.

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Nach seiner Goldmedail­le 2012 in London setzte Diskuswerf­er Robert Harting, noch voller Adrenalin, zu einem beeindruck­enden Hürdenlauf an. FOTO: GHEMENT/DPA
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FOTO: MABANGLO/DPA Er war der König von London, der Star der Olympische­n Sommerspie­le 2012. Usain Bolt (Mitte) gewann nicht nur mit Jamaikas 4x100-Meter-Staffel, sondern auch die Sprintwett­bewerbe über 100 und 200 Meter.
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FOTO: OKTEN/DPA Er brachte die Zuschauer in London zum Kochen, zur Ekstase: Super-Läufer Mohamed Farah.
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FOTO: THISSEN/DPA Dank Jessica Ennis-Hill war das Stadion in London schon vormittags ein Hexenkesse­l.

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