Saarbruecker Zeitung

Hat VW Weils Regierungs­erklärung zensiert?

Nach dem Verlust seiner Regierungs­mehrheit gerät der niedersäch­sische Ministerpr­äsident nun an einer weiteren Front unter Druck.

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VON DORIS HEIMANN UND CHRISTIANE JACKE

HANNOVER/BERLIN

(dpa) Stephan Weil lächelt freundlich, wie so oft, doch etwas bemühter als sonst. Niedersach­sens Ministerpr­äsident gibt sich betont gelassen, als er gestern Nachmittag in Hannover vor die Kameras tritt. Fragt höflich die Journalist­en, ob alle soweit seien, und spult dann in unaufgereg­tem Ton eine Erklärung herunter. Nur einmal verhaspelt er sich kurz.

Wie es drinnen in ihm aussieht, bleibt sein Geheimnis. Der 58-Jährige hat jede Menge Probleme am Hals. Innerhalb weniger Tage ist der SPD-Politiker schwer unter Druck geraten. Gleich an zwei Fronten: Zum Verlust seiner rot-grünen Koalitions­mehrheit kommen nun höchst unangenehm­e Fragen zu einer Regierungs­erklärung, die der VW-Konzern vorab zur Prüfung bekam.

Ein Blick zurück: Im Oktober 2015 unterricht­et Weil, der im VW-Aufsichtsr­at sitzt, den Landtag über den Diesel-Skandal bei dem Konzern. Es geht um illegale Abschaltei­nrichtunge­n in der Motorsteue­rung von VW-Diesel-Fahrzeugen. Den Entwurf zu der Rede lässt er vorher zum Gegenlesen an mehrere Vertreter des VW-Konzerns schicken, darunter an den Aufsichtsr­atchef Dieter Pötsch und den VW-Chef-Lobbyisten – und früheren SPD-Sprecher – Thomas Steg. Weils Sprecherin Anke Pörksen schreibt damals in einer Mail an Steg: „Bitte schau‘ schon mal rein, ob da irgendetwa­s drin steht, was so gar nicht Euren faktischen oder rechtliche­n Erkenntnis­sen entspricht.“

Laut „Bild am Sonntag“soll der VW-Konzern die Regierungs­erklärung „aufgehübsc­ht“haben. Kritische Passagen seien gestrichen worden. Das Blatt zitiert einen VW-Mitarbeite­r mit den Worten: „Das war kein Faktenchec­k, wir haben die Rede umgeschrie­ben und weichgespü­lt.“Die Empörung ist groß. Es hagelt Kritik.

Weil wehrt sich. Die Vorwürfe, die Landesregi­erung habe sich in dieser Frage von VW die Feder führen lassen, seien „bodenlos“und „völlig unbegründe­t“. Es sei nur um Rechts- und Faktenfrag­en gegangen. „Im Kern ist aber der Redetext völlig unveränder­t geblieben.“Dass er die Rede überhaupt VW vorgelegt hat, rechtferti­gt Weil damit, es sei um die Zukunft des Konzerns gegangen – und damit auch um Zehntausen­de Arbeitsplä­tze.

Doch die Geschichte wirft ein ungutes Licht auf die Verflechtu­ngen zwischen Landesregi­erung und VW-Konzern. „Weil ist immer auch

Anke Pörksen Sprecherin der niedersäch­sischen Landesregi­erung in einer E-M ail

an den VW-Chef-Lobbyisten

der Ministerpr­äsident von VW“– so hat es der Politikwis­senschaftl­er Wichard Woyke einmal formuliert. Die Frage stellt sich nun, ob nicht auch VW in Niedersach­sen mitregiert. Das Land ist mit 20 Prozent zweitgrößt­er Anteilseig­ner von VW, Weil sitzt im Aufsichtsr­at des Konzerns. Der Autoherste­ller hat für das nördliche Bundesland überragend­e Bedeutung und beschäftig­t dort rund 105 000 Menschen.

DieVorwürf­e treffenWei­l zur denkbar ungünstigs­ten Zeit. Am Freitag hatte die Grünen-Abgeordnet­e Elke Twesten völlig überrasche­nd ihren Wechsel zur CDU erklärt. Weils rotgrünes Regierungs­bündnis ist damit seine Ein-Stimmen-Mehrheit los. Nun ist eine Neuwahl im Gespräch – möglicherw­eise parallel zur Bundestags­wahl am 24. September.

Für die SPD im Bund ist das Ganze verheerend. Der Verlust der rot-grünen Mehrheit in Niedersach­sen ist schlimm genug. Für die Partei und ihren Spitzenkan­didaten Martin Schulz läuft es ohnehin schon suboptimal. Die Umfragewer­te sind mies, der Abstand zu CDU und CSU ist immens. Nun hat die Union Munition, um ausgiebig gegen RotGrün zu wettern. FDP-Chef Christian Lindner, wohl beflügelt von schwarz-gelben Fantasien, macht mit und erklärt Angela Merkel bereits zur Siegerin im Rennen um das Kanzleramt. SPD-Obere kontern mit Attacken auf Schwarz-Gelb. Der Lagerwahlk­ampf ist wohl eröffnet.

„Bitte schau‘ schon mal

rein, ob da irgendetwa­s drin steht, was so gar nicht Euren

faktischen oder rechtliche­n Erkenntnis­sen

entspricht.“

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FOTO: HEIKO LOSSIE/DPA
Keine einfachen Tage durchlebt Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil derzeit. FOTO: HEIKO LOSSIE/DPA

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